30. Oktober 2020
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Den Gärtner zum Bock gemacht!

Bundesministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat den Präsidenten des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienstes, Dr. Christof Gramm, in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Die bisherige Bundeswehrdisziplinaranwältin, Martina Rosenberg, wird seine Nachfolgerin.

Moment. An dem Titel ist doch was falsch, oder?

Aber von vorne: Wenn die Ministerin jemanden aus so einer wichtigen Führungsfunktion entlässt, weil etwas schlecht gelaufen ist, ist das – in diesem Fall jedenfalls: sehr bedauerlich. Ob da die Ministerin gut beraten worden ist? Extremisten in den Reihen unserer Staatsdiener können selbstverständlich nicht geduldet werden.

Nicht zuletzt aus Sicht von Gewerkschaftenn und Verbänden kommt hinzu: Einzelne oder kleine Gruppen schaden dem Ruf der „Innung“, obwohl Hunderttausende Staatsdiener, mit oder ohne Uniform, im wahrsten Sinne des Wortes ihren Kopf für uns alle hinhalten. Die Negativschlagzeilen durch Extremisten treffen dann auch die völlig Falschen. Dies, bei aller notwendigen Aufklärung der Vorfälle, immer zugleich auch mit der nötigen Gewichtung zu betonen, wäre wichtig; ein wenig mehr Rückgrat der Verteidigungspolitiker insofern schön. Verfassungsfeindliche Umtriebe in der Bundeswehr aufzudecken, ist eine Kernaufgabe des MAD.

Um diese Aufgabe besser als bisher erfüllen zu können, wird der kleinste der drei deutschen Geheimdienste seit Oktober 2019 personell kräftig aufgestockt und umstrukturiert. Ein wichtiges Ziel: Man möchte möglichst lückenlos alle Menschen prüfen können, die in unsere Streitkräfte eintreten, um extremistische Umtriebe in der Entstehung zu verhindern. Nach dem bewährten Motto: Wehret den Anfängen. Das ist gut so. Fälle extremistischer Gesinnung hatten zuletzt die Bundeswehr häufiger in die Schlagzeilen gebracht und damit denjenigen, die der Bundeswehr grundsätzlich kritisch gegenüber stehen, wieder einmal politische Munition verschafft. Die Gefahr des Image-Schadens für die Bundeswehr ist tatsächlich immens: Für die intensiven Bemühungen der Ministerin, nicht zuletzt auch des Generalinspekteurs und der Personalführung, die Bundeswehr wieder materiell und personell schlagkräftig aufzustellen, sind solche Meldungen verheerend. Diese Meldungen vermitteln bei den Medien, in Gesellschaft und Politik nämlich einen Eindruck, den die Bundeswehr nicht verdient hat.

Der MAD ist kein Spitzeldienst!

Die verfassungsrechtlichen Schranken und gesetzlichen Aufgaben beschränken seinen Handlungsspielraum, den Dienste in anderen Armeen vielleicht haben mögen (siehe Infokasten unten). Das wird gerne übersehen. Es gibt eben weder „IM’s (Inoffizieller Mitarbeiter) noch „Blockwarte“ in den Einheiten. Gott sei Dank. Den Extremisten in den eigenen Reihen durch entsprechende Stärkung des MAD entgegen zu wirken, ist daher jedoch komplexer, als man bei klischeehafter Betrachtung von außen erkennen kann. Die deutliche Stärkung des MAD ist daher politisch geboten, gerade weil man den Auftrag in den Grenzen des Verfassungsrechts umsetzen muss und soll.

Es gilt zugleich aber auch, den sehr pauschal wirkenden negativen Bewertungen von MAD und Streitkräften keinen Vorschub zu leisten. Da war diese Entlassung nicht hilfreich.

Der Ruf nach einer personellen Aufstockung und einer zivileren Ausrichtung des Dienstes sind nicht nämlich nicht neu. Gerade der scheidende MADPräsident hat seit seinem Amtsantritt 2015, auch im politischen Raum, immer wieder klar gemacht, dass eine Stärkung des Dienstes erforderlich ist, will man den Aufgaben im gebotenen Maße gerecht werden.

Wenn dies nicht in der erwünschten Priorität, Schnelligkeit und Gründlichkeit – wie die Vorfälle zuletzt im KSK zu beweisen scheinen erfolgte, ist dies dem Ex-Präsidenten jedenfalls nicht anzulasten. Das wird auch nicht bestritten: „Der MAD-Präsident hat diese Veränderungen initiiert und begleitet und so in den vergangenen Jahren spürbare Verbesserungen in Organisation und Arbeitsweisen“ erwirkt. So zitiert jedenfalls focus online (24.9.) einen Sprecher des BMVg am Tag der Ablösung Gramms. Darf man der Meldung von Tagesschau online vom gleichen Tag glauben, genoss Gramm darüber hinaus „in Parlamentskreisen … einen ausgezeichneten Ruf, er gilt fraktionsübergreifend als integer“. Umso mehr verwundert seine Entlassung. Aber nicht, wenn man bei der Tagesschau online weiterliest: „Die Entscheidung kommt nicht unerwartet - über eine mögliche Entlassung von Gramm wird in Sicherheitskreisen bereits seit Wochen spekuliert“ so Tagesschau online.

Anders als im Fall des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, dessen Entlassung nach dessen Äußerungen nachvollziehbar war, stellen sich hier aber Fragen: Den Medienberichten zu Folge hat Gramm in den Ausschusssitzungen des Bundestages keine Fehler begangen und eher den Eindruck vermittelt, dass der MAD auf einem guten Weg ist. Sachliche Gründe für die Ablösung des MAD Chefs, die in seiner Person zu finden wären, liegen daher eher im Detail- oder im Dunkeln. Das passt zu diesem anerkannten Verfassungsrechtler, dem man auch in Kreisen der Bundeswehr eine umsichtige Amtsführung attestiert. Der Abschiedsbrief, den er seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern übersandte, kurz nachdem die Ministerin ihm persönlich seine Demission mitteilte, ist entsprechend keine Abrechnung, sondern eine sachliche, angemessen emotionale Bilanz. Eine Verabschiedung „ohne Groll“, so wird Gramm von SPIEGEL online, dem der Brief wohl vorliegt, zitiert. Er selbst gibt in diesem Abschiedsbrief Fehler zu. Das ist honorig, wie sein gesamter Abgang würdevoll. Skandalträchtige Fehler werden es nicht gewesen sein, sonst hätten sich Medien und die „Sicherheitskreise“ darauf – wahlweise auf die Ministerin – gestürzt.

Das Prinzip von Ursache und Wirkung.

Was also ist falsch an dem Satz mit dem Bock? Es müsste „Sündenbock“ heißen!

Der Gärtner ist zum Sündenbock gemacht worden, nicht umgekehrt. Gärtner pflanzen weder Unkraut, noch düngen sie es. Ein Gärtner soll alles Unkraut möglichst mit Stumpf und Stiel ausreißen. Dafür braucht man aber Zeit und Personal. Und wenn man nur filigranes Werkzeug dafür hat, braucht man Geduld.

So darf man auch den von Spiegel online zitierten Satz Gramm’s in seinem Brief verstehen: Für die Reform des MAD brauche es einen langen Atem. "In unserer chronisch aufgeregten Gesellschaft ist das Verständnis dafür leider nicht immer vorhanden". Diplomatisch zurückhaltender kann man die obige Wahrheit nicht ausdrücken.

Liebe „Sicherheitskreise“: Hätte man sich diese Entlassung nicht sparen können?

Was ist zu tun?

Das Schlüsselwort heißt: Dienstaufsicht!

Dass diese versagt hat, ist erkannt worden. So wurde das Kommando Spezialkräfte umorganisiert und externe Kontrollmechanismen sollen weitere Auswüchse verhindern.

Durch die latente Abkapselung einer professionalisierten Armee haben wir uns im Grunde ein Problem erkauft, das einen steten strengen Blick auf sich bildende Parallelstrukturen erfordert. Es gab zwar unter den Wehrpflichtigen auch Soldaten, die extremistisches Gedankengut mitbrachten, aber die waren schnell wieder weg oder wurden eben nicht dauerhaft ins System übernommen.

Wenn also „der Bock“ gesucht wird, dann hätte er in der Hierarchie derjenigen, die „hätten wissen können, wenn sie hingeschaut hätten oder hätten hinschauen können“, gesucht werden müssen.

Wichtiger als die Suche nach dem nächsten Bock ist aber jetzt, die Vorgesetzten zu unterstützen. Dienstaufsicht wird vor allem dann besser, wenn Vorgesetzte die Zeit erhalten, sich um Ausbildung und Dienstaufsicht zu kümmern. Dies geht nur bei vorbehaltloser Rückendeckung von hohen Vorgesetzten wie Politik. Es braucht klare Ansagen!

Unendliche Berichtspflichten in der Truppe, Konzepte und Vorschriften, deren Sinn sich nicht immer erschließt, aber jedenfalls Zeit fressen, vorbehaltlos auf ihre zwingende Notwendigkeit im „Friedensbetrieb“ zu überprüfen, wäre ein erster Schritt.

Die Übernahme von Verwaltungsaufgaben, die nicht vermeidbar sind, nämlich die Umsetzung der durch den Bundestag erlassenen Gesetze und Verordnungen, sollten so wie weit wie möglich in die Hände derer gelegt werden, die dafür ausgebildet worden sind: Die Kolleginnen und Kollegen der zivilen Wehrverwaltung.

Dann entsteht die Luft zum Atmen, die die Truppe braucht. Erfahrene Berufssoldaten könnten wieder dort eingesetzt werden, wofür sie ausgebildet sind und selbst bereits ausgebildet haben. Mit deren enormer Lebens- und Truppenerfahrung würden sie nicht nur die Ausbildung optimieren: Sie könnten zugleich den jungen Soldaten Orientierung und Halt geben, um ein Abgleiten, in welche politische Richtung auch immer, zu vermeiden.

Ein dickes Brett. Ja. Und nicht von heute auf morgen zu bohren, da strukturelle Veränderungen Zeit brauchen. Aber die enge Führung durch die Leistungsträger der Armee ist ein entscheidender Eckpfeiler dafür, dass unsere Soldaten auf dem Boden des Grundgesetzes bleiben. Da liegt der Hase im Pfeffer. Oder im Unkraut.

Ob die Ministerin also gut beraten war, Gramm zu entlassen? Man könnte stattdessen auch fragen: Hatte Sie eine Wahl? Die Frage ist jedenfalls dann berechtigt, wenn man beobachtet, wie schnell man in „sicherheitspolitischen“ Kreisen ins „Kreuzfeuer“ geraten kann. Es scheint, also hätte die Ministerin die notwendige politische Deckung für eine andere Entscheidung nicht erhalten. Man hätte, frei nach dem militärischen Grundsatz: „Wirkung vor Deckung“, der Ministerin auch Flankenschutz für andere mutige Optionen geben können.

So hat man einen Bock geschossen (der ein Gärtner war).

Beharrlichkeit und Geduld.

Hoffen wir, dass die Nachfolgerin Gramms, Martina Rosenberg, die Zeit haben wird, das dicke Eichenbrett weiter zu bohren und Kurs zu halten. SPIEGEL online spekulierte schon vor der Bekanntgabe der Entscheidung etwas despektierlich über eine Juristin „aus dem Apparat“ als Nachfolgerin. Der VBB findet es aber gut, dass es jemand „aus unserem Apparat“ wird, nämlich jemand wie die Kollegin Rosenberg, die Streitkräfte und Ministerium kennt und auch Politik aus nächster Nähe erlebt hat. Eben all das, was man braucht, um die Aufgabe zu verstehen und politische Fallstricke zu erkennen. Diese zu sehen, ist im Zweifel komplexer als die eigentliche Amtsführung. Frau Rosenberg hat jedenfalls eine gute Startposition, die ein Externer im Regelfall, vorsichtig ausgedrückt, erst nach einer steilen Lernkurve überhaupt erreicht hätte.

Wir wünschen Frau Rosenberg – der ersten Präsidentin eines deutschen Nachrichtendienstes überhaupt – jedenfalls „Fortune“ für Ihr schwieriges Amt. Unsere Rückendeckung hat sie!

Und Dr. Gramm wünschen wir seinen verdienten „Unruhestand“.

 

Welche Aufgaben hat der Militärische Abschirmdienst (MAD)?

Der MAD nimmt in den Bereichen des politischen Extremismus und Terrorismus die Verfassungsschutzaufgaben der Bundeswehr wahr. Eine davon besteht darin, Extremisten in der Bundeswehr frühzeitig zu identifizieren, diese Personen zu beobachten und deren Bestrebungen zu unterbinden. Zusammen mit den zuständigen personalbearbeitenden Stellen soll deren Dienst in den Streitkräften beschränkt und gegebenenfalls beendet werden.

Wie auch alle anderen deutschen Nachrichtendienste, unterliegt der MAD einer eingehenden parlamentarischen sowie fachaufsichtlichen Kontrolle. Dies ist der besonderen Grundrechtsintensität seiner nachrichtendienstlichen Maßnahmen geschuldet.

Der MAD wird nicht ohne Anlass tätig. Ohne Vorliegen von tatsächlichen Anhaltspunkten sammelt er keine Informationen. Weder scannt er wahllos soziale Netzwerke nach Hinweisen auf extremistische Äußerungen noch setzt er ohne Anlass Informanten in Kasernen der Bundeswehr ein.

Der MAD erhält Hinweise von vielen Seiten. Einen besonderen Stellenwert haben dabei die Meldungen aus der Truppe. Durch die tägliche Nähe im Dienstbetrieb sind es oftmals Vorgesetzte, Kameraden, Kolleginnen und Kollegen, die zum Beispiel Verhaltensänderungen zuerst feststellen.

Quelle: bundeswehr.de, (Auszug aus MAD Seite)