27. November 2020

Deutscher Bundestag debattiert über Antrag zur „Reaktivierung der Wehrpflicht“

Im sogenannten „Sommerloch“ wurde über die Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert, obwohl dieses Thema weit mehr als nur ein Lückenfüller ist. Der VBB hatte dazu Fakten und Meinungen gesammelt und an dieser Stelle Mitte Juli ausführlich berichtet. Bekanntlich ist die Bundeswehr eine Parlamentsarmee und eine Diskussion über eine Wehrpflicht sollte deshalb vorzugsweise im Parlament stattfinden.

Tatsächlich hat der Deutsche Bundestag Ende November die Diskussion um die Wehrpflicht wieder aufgenommen. Auslöser war der Antrag zur „Reaktivierung der Wehrpflicht“, Antragsteller war die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag (BT-Drucksache 19/24401, online verfügbar). „Das Parlament“, dessen Herausgeber der Deutsche Bundestag ist, hat über diese parlamentarische Debatte mit der Überschrift >>Verstaubte Debatte<< berichtet. Auf dieser Quelle basierend geben wir Ihnen einige Fakten und Stellungnahmen zur Kenntnis, ohne parteipolitische Färbung unsererseits versteht sich.

Die AfD steht mit der Forderung nach einer Rückkehr zur Wehrpflicht allein

Die Reaktionen fielen einhellig aus: Nein, eine Rückkehr zur Wehrpflicht wird es mit uns nicht geben, schallte es der AfD-Fraktion am vergangenen Freitag aus den Reihen aller anderen Fraktionen entgegen. In ihrem Antrag fordert die AfD die Bundesregierung auf, die im Jahr 2011 ausgesetzte Wehrpflicht rückgängig zu machen. Mindestens 30.000 junge Männer müssten pro Jahr für einen zwölfmonatigen Wehrdienst einberufen werden, damit die Bundeswehr den Verfassungsauftrag zur Landesverteidigung nach Artikel 87a Grundgesetz erfüllen kann. Derzeit könnten es die deutschen Streitkräfte im Verteidigungsfall nämlich nicht mit einem "kampfstarken Herausforderer" aufnehmen, ist sich die AfD sicher. Auch der ehemalige Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD), habe noch Anfang des Jahres angemahnt, dass die Bundeswehr "als Ganzes nicht einsatzfähig" sei, heißt es im Antrag.

Als verteidigungspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion argumentierte Rüdiger Lucassen, die Wehrpflicht habe in Deutschland über 200 Jahre gut funktioniert, Armee und Gesellschaft verbunden. (Hinweis: Im Antrag wird sich auf den vom preussischen Heeresreformer Gerhard von Scharnhorst im Jahr 1807 aufgestellten Grundsatz berufen: „Alle Bürger des Staates sind geborene Verteidiger desselben.“) Die Wehrpflicht sei der "Wesenskern" der Bundeswehr gewesen und habe zur DNA der Bundesrepublik gehört.

Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU, Henning Otte, bescheinigte der AfD, sie hänge "romantischen und verklärten Vorstellungen" nach. Die Aussetzung der Wehrpflicht sei "notwendig und richtig" gewesen. "Wir wollen junge Menschen nicht zwingen, sondern junge Menschen überzeugen, einen freiwilligen Dienst zu leisten", führte Otte aus. Dazu gehöre auch, die Arbeit der Soldaten - etwa in den Auslandseinsätzen - nicht immer schlecht zu reden. Die Bundeswehr sei "nicht die Schule der Nation", sondern habe einen sicherheitspolitischen Auftrag. Den erfülle sie mit einer modernen Ausrüstung und professionell ausgebildeten Soldaten.

Der FDP-Verteidigungspolitiker Alexander Müller wies darauf hin, dass eine Wehrpflicht nur für Männer gegen das Gleichstellungsgebot im Grundgesetz verstoßen würde, nachdem die Bundeswehr 2001 auch für Frauen ohne Einschränkungen geöffnet worden sei. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe würde dies bei der ersten Klage eines männlichen Wehrpflichtigen mit Sicherheit auch so beurteilen. Zudem sorge die Einberufung von nur 30.000 Wehrpflichtigen zu weiteren Ungleichbehandlungen, die nicht verfassungsfest seien.

Auf strikte Ablehnung stieß das Ansinnen der AfD auch bei der Linksfraktion. Deren Abgeordneter Tobias Pflüger stellte klar: "Wir wollen keine Militarisierung der Gesellschaft." Die Forderung der AfD, bei Wiedereinführung der Wehrpflicht den Ersatzdienst als Teil der "zivilen Verteidigung Deutschlands" auszugestalten, zeige, dass sie das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht verstanden habe. Und die Forderung, Frauen zu einem Sanitätsdienst verpflichten zu wollen, sei einfach "Unsinn".

Agnieszka Brugger, Verteidigungspolitikerin von Bündnis 90/Die Grünen, erklärte die gesamte Debatte für "verstaubt". Eine Rückkehr zur Wehrpflicht lasse sich auch nicht mit einer stärkeren Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft oder mit einem erhöhten Schutz vor Rechtsextremismus in der Truppe begründen. Wer Rechtsextremisten in den Streitkräften verhindern wolle, müsse darauf achten, wer in der Truppe seinen Dienst leistet. Zudem seien schnellere und effektivere Verfahren nötig, um Rechtsextremisten oder Reichsbürger zügig entlassen zu können.

Der SPD-Wehrexperte Fritz Felgentreu bescheinigte der AfD, ihr Antrag sei völlig kontraproduktiv, um das anvisierte Ziel zu erreichen. "Der Umbau der Bundeswehr zur Freiwilligenarmee ist abgeschlossen." Ein Zurück werde es nicht geben. Für tausende von Wehrpflichtigen seien weder die Unterkünfte noch die Ausbilder oder die benötigten Strukturen in der Truppe vorhanden. Eine Rückkehr zur Wehrpflicht würde deshalb nur unnötig Ressourcen verbrauchen, die dann an anderer Stelle in den Streitkräften fehlten. Die Bundeswehr wäre mit einer Wehrpflicht eben nicht stärker, sondern schwächer, argumentierte Felgentreu.