05. Januar 2018

Die Mutter aller Vorschriften: Der neue CPM

Drei Buchstaben mit weitreichender Bedeutung: Der CPM ist die ressortinterne Rahmenweisung zur fähigkeitsorientierten Bedarfsermittlung, zeitgerechten und wirtschaftlichen Bedarfsdeckung mit einsatzreifen Produkten und Dienstleistungen sowie zu deren effizienter Nutzung. Das klingt langweilig und theoretisch, ist aber in der Praxis manchmal an Spannung kaum zu überbieten.

Wer sich auch nur entfernt mit der Ausrüstung unserer Parlamentsarmee befasst, kommt an dieser Vorschrift nicht vorbei. Sie ist bis in den Deutschen Bundestag bekannt, ist geliebt und gefürchtet bei Soldaten wie Zivilisten, wird häufig zitiert und bleibt manchem doch rätselhaft. Viele glauben unerschütterlich an die Unfehlbarkeit der innewohnenden Logik, trotz der kalten Rationalität dieser Zentralen Dienstvorschrift A-1500/3. Ihr umfassender Anspruch setzt Maßstäbe für milliardenschwere Aufträge. Es geht um die Verfahrensbestimmungen für die Bedarfsermittlung, Bedarfsdeckung und Nutzung in der Bundeswehr, quasi die Mutter aller Vorschriften für das Ausrüstungs-und Nutzungsmanagement, auch unter dem Namen Customer Product Management (CPM) bekannt. Allein die englische Bezeichnung weist schon darauf hin, dass es offensichtlich unmöglich ist, die Bedeutung dieses Prozesses in der Sprache der Dichter und Denker zu beschreiben.

Vom CPM betroffen sind aber nicht nur der Generalinspekteur und das BAAINBw mit seinem Geschäftsbereich, sondern mehr oder weniger die komplette Bundeswehr und damit viele unserer Verbandsmitglieder. Keinesfalls darf die Außenwirkung unterschätzt werden. Der CPM wirkt bis in die ganz große Politik! Es geht um viel Geld, um attraktive Aufträge, um qualifizierte Arbeitsplätze, vor allem aber um die bestmögliche Ausstattung unserer Soldatinnen und Soldaten.

Der CPM als Qualitätsmanagementsystem der Bundeswehr

Für die Bedarfsdeckung der Bundeswehr gelten grundsätzlich die gleichen Regeln wie für jeden anderen öffentlichen Auftraggeber. Die einzigartige Situation bei der Ausrüstung der Bundeswehr erfordert jedoch besondere Verfahren. Traditionell wird versucht, die Bedarfsermittlung und Bedarfsdeckung vom einfachsten Ausrüstungsteil bis zum komplexen Waffensystem so zu beschreiben, dass sich in der Nutzung alles perfekt zusammenfügt und weltweit auch unter schwierigsten Bedingungen zuverlässig einsetzbar ist. Einzelne, genau festgelegte Schritte unterteilen die unterschiedlich langen Wege vom Bedarf bis zum einsatzfähigen Produkt, um Risiken zu identifizieren, zu minimieren oder zu vermeiden. Dazu sind diese Schritte noch in definierte Projektelemente aufgespalten, damit nichts Wichtiges vergessen wird. Wesentliche Abschnitte enden mit einer dokumentierten Erfolgskontrolle und Folgemaßnahmen. Durch diese übersichtliche Matrix und zusätzlichen Qualitätssicherungsmaßnahmen ist der Prozess theoretisch perfekt modelliert. Der CPM bietet aber noch weit mehr: Bei der systematischen Bedarfsermittlung und der strukturierten Bedarfsdeckung kommt der Phase der Nutzung herausragende Bedeutung zu, denn dafür wird das Material beschafft bzw. eine Dienstleistung vereinbart. Selbstverständlich sind die notwendigen Rollen, beispielsweise die zentrale Rolle des Projektleiters, intelligent beschrieben, beinahe wie in einem guten Drehbuch! So kann im Innenverhältnis eigentlich nichts mehr schief gehen, denn es ist tatsächlich an alles gedacht.

Aber warum hat dann unsere Bundesministerin Dr. von der Leyen zusammen mit Staatsekretärin Dr. Suder nicht nur eine Bestandsaufnahme gemacht, sondern eine umfassende Modernisierung des Rüstungsmanagements durchgeführt?

Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. So scheitert manche Planung schlicht an der schwer vorhersehbaren Realität. Der CPM basiert auf strategischen Festlegungen zur Ausrüstung der Bundeswehr. Wenn sich diese Festlegungen zu häufig wandeln oder finanziell nicht belastbar sind, kann der CPM seine beabsichtigte Wirkung kaum entfalten und die Planung hinkt der Realität hinterher. Wer in diesen Fällen plump auf den CPM oder die handelnden Beschäftigten schimpft, muss sich fragen lassen, ob er die Ursachen des Misserfolgs überhaupt erkannt und verstanden hat.

Aufgabe, Kompetenz, Verantwortung

Rüstung ist keine Spielwiese für den technischen Dienst und technisch interessierte Soldaten, Rüstung ist eine sehr anspruchsvolle Gemeinschaftsaufgabe.

Letztlich ist zwar der Projektleiter immer für alles verantwortlich, aber er kann im Fähigkeitsverbund der Bundeswehr nur dann dieser Verantwortung gerecht werden, wenn er über die notwendigen Kompetenzen und Ressourcen verfügt. Politische Vorgaben, militärische Forderungen, verfügbare Haushaltsmittel, anspruchsvolle technische Parameter, vergaberechtliche Bedingungen, zeitgerechter Zugriff auf Experten, angemessene Personalausstattung, vernünftige Einbindung der gewerblichen Wirtschaft: Das ganze Spektrum muss auf eine Linie gebracht und konkretisiert werden. Selbstredend soll trotz überbordendem Berichtswesen und administrativen Regularien alles schnell gehen, denn unsere Bundeswehr ist in vielen Einsätzen weltweit. Das hat in der Vergangenheit überwiegend, aber nicht immer geklappt. Darüber wurde zum Bedauern unserer Kolleginnen und Kollegen oft tendenziell negativ berichtet, der Rüstungsbereich insgesamt in ein schlechtes Licht gerückt. Die betroffene Sicherheits- und Verteidigungsindustrie kam da deutlich besser weg, auch wenn manchmal der Eindruck entstand, dass einzelne Unternehmen ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht werden.

Die Rolle der gewerblichen Wirtschaft

Der bundeswehrinterne Prozess des CPM muss in passende Verträge mit der gewerblichen Wirtschaft münden. Nur diese kann die geforderten Produkte und Dienstleistungen liefern. Es hat sich gezeigt, dass zum Erfolg glückliche Umstände benötigt werden, übrigens wie bei allen Großprojekten in Deutschland, seien es öffentliche oder gewerbliche Vorhaben. Jede Planung ist endlich, jedes Projekt ist ein Wagnis, deshalb müssen die Projektrisiken fair verteilt werden. Trotz einer über sechzig jährigen Geschichte der Bundeswehr mit meist hochwertiger materieller Ausstattung lässt sich eine Entwicklung beobachten. Zu oft gelang es der gewerblichen Wirtschaft, die Projektrisiken vertraglich zurück auf den Auftraggeber zu verlagern, was bei Projektmängeln zur Folge hatte, dass in der Presse immer die Bundeswehr ziemlich dumm dastand. Es war schon lange an der Zeit, dies zu ändern!

Vertragsmanagement, ein schwieriges Thema

Die Bundeswehr als öffentlicher Auftraggeber muss bei der Vergabe von Auftragen an die gewerbliche Wirtschaft die einschlägige Gesetzes- und Vorschriftenlage beachten. Dieser nachvollziehbare Anspruch hat es aber in sich, denn europaweite Richtlinien, europaweite Verordnungen, nationale Gesetze, nationale Verordnungen und vieles mehr sind nachweislich korrekt anzuwenden. Zudem macht es einen bedeutenden Unterschied, ob ein handelsüblicher Rasenmäher für die Gemeinde gekauft oder ein Waffensystem international entwickelt und beschafft werden soll. Die Bundeswehr ist ein anspruchsvoller Auftraggeber in einem schwierigen Sektor, der nicht immer von den Prinzipien der allgemeinen Marktwirtschaft durchdrungen scheint, obwohl die Gleichbehandlung der Bieter, transparentes und korrektes Vorgehen sowie der Wettbewerb die Leitmotive einer jeden Vergabe sein müssen. Dazu kommt, dass die Macht des Projektleiters und der gestaltende Einfluss der Vergabestelle häufig an politischen Vorgaben (z. B. workshare, costshare in internationalen Projekten) und mächtigen Quasimonopolisten endet. Wenn selbstbewusste industrielle Manager im Verbund mit verhandlungsgestählten Wirtschaftsjuristen gegenüber einem über die Jahre personell ausgedünnten Häuflein amtsangehöriger Experten aus dem Vertrags- und Projektreferat sitzen, besteht leicht die Gefahr, dass die Ansprüche des CPM nicht durchsetzbar sind. Besonders dann, wenn die Rückendeckung von oben fehlt.

Die absehbare Wirkung des neuen CPM

Ordentlich an Umfang zugelegt hat sie, die Mutter aller Vorschriften. Und wer sich durch die wirklich bemerkenswerte Zentrale Dienstvorschrift A-1500/3 durchgearbeitet hat, wird feststellen, dass diese Vorschrift nur die Spitze des Eisberges darstellt, denn sie hat unzählige Töchter, die genauso gelesen, verstanden und umgesetzt werden müssen, damit die Projekte laufen. Angesichts dieser Tsunamis von Vorschriften befürchtet mancher Projektleiter, dass die erschöpfenden Maßnahmen des Rüstungsmanagements anspruchsvolle Projekte eher bremsen, anstatt diese zu beschleunigen.

Vermisst wird eine unternehmerische Einsicht der Führung, dass bei gegebenen personellen Ressourcen und ausufernden administrativen Prozessen die Zahl der gleichzeitig handhabbaren Projekte endlich ist, von der Problematik mit der Jährlichkeit des Haushaltes ganz zu schweigen. Bei diesen Unwägbarkeiten würde das Risikomanagement zur Farce. Unrealistische Zeitvorgaben bzw. zu optimistische Projektplanungen würden ein Übriges tun, auch den jüngsten CPM wieder alt aussehen zu lassen, so die Meinungen aus einigen Projekten. Die vielgepriesene Internationalität von Projekten hilft ebenfalls nicht immer, denn die funktionalen Forderungen der beteiligten Nationen müssen passen, sonst wird es nur bürokratisch und teuer, wie prominente Beispiele belegen. Anscheinend wissen es alle, aber keiner spricht es offiziell aus.

Nie war der CPM besser!

„Der CPM dient dem strategischen Ziel, der Bundeswehr zur Erfüllung ihres Auftrages die notwendige Ausrüstung zeitgerecht und einsatzreif im vorgegebenen Finanzrahmen bereitzustellen und einsatzreif zu halten.“ Diese Zielsetzung ist der ZDv A-1500/3 zu entnehmen und selbst wenn dieser quasi in Stein gemeißelte Satz eher irritierend als motivierend wirkt, sollte dem neuen CPM unbedingt eine faire Chance gegeben werden. Die Rahmenbedingungen sind allerdings entscheidend, ob der CPM wie gewünscht wirkt. Deswegen muss jetzt Schluss sein mit der erstickenden Vorschriftenflut unter dem Deckmantel der Handlungssicherheit. Außerdem dürfen die Projektverantwortliche nicht wie so häufig als Bittsteller oder Schuldiger hingestellt werden, denn diese Menschen erledigen mit ihren Teams die ehrenwerte Kernaufgabe „Ausrüstung“, sind also Experten, Entscheider, Mediatoren, Macher und vieles mehr in Personalunion! Unverzichtbar dazu gehört eine ordentliche personelle Ausstattung - die Trendwende Personal beginnt erst zu wirken - und angemessene, zeitgemäße Infrastruktur. Dann kann man beruflich was bewegen, genau das wünschen sich die Beschäftigten!

Vertrauen und Selbstvertrauen

Über viele Jahre hinweg sind die mit der Ausrüstung befassten Beschäftigten der Politik treu gefolgt, dennoch wurde fast schon beraterhörig umorganisiert, koste es was es wolle. Nun ist es an der Zeit, dass die Politik den Beschäftigten das notwendige Vertrauen erweist und sich den neuen CPM in der beginnenden Legislaturperiode entfalten lässt. Nicht schon wieder revolutionäres Durcheinander, sondern verlässliche Bedingungen für die Beschäftigten und eine kluge, evolutionäre Weiterentwicklung dort, wo es notwendig ist. Das modernisierte Rüstungsmanagement hat dann eine kreative und produktive Zukunft vor sich, ganz im Sinne von Steuerzahlern, gewerblicher Wirtschaft und besonders unserer Soldatinnen und Soldaten, die eine einsatzgerechte Ausrüstung verdienen!