08. Februar 2018

EinkaufBw: Vom Musterschüler zum Problemkind?

„Ersatzteile fehlen, kein U-Boot einsatzbereit“, das war die Schlagzeile beim NDR. „Defekte U-Boote, Flugzeuge und Panzer: Steht bei der Bundeswehr bald alles still?“ fragt der FOCUS. Die Einsatzbereitschaft ist in Gefahr, weil die Ersatzteile fehlen, denn der Einkauf liefert nicht so, wie er soll! Diese Schlussfolgerung liegt nahe, ist aber zu einfach.

Einkauf der Bundeswehr? Wir haben doch den CPM!

Selbstverständlich dominieren bedeutende Waffensysteme und militärische Entwicklungen die Außenwahrnehmung der Rüstung, ja der gesamten Bundeswehr. In der Bundeswehrsprache sind das dann Materielle Lösungen nach CPM. Diese Beschaffungen reichen aber bei Weitem nicht aus, um eine Armee im Grundbetrieb und Einsatz zu betreiben. Zusätzlich werden entweder sogenannte Komplexe Dienstleistungen (z.B. BwFuhrparkService) vergeben, oder es fallen die sogenannten Betriebsbedingten Beschaffungen an, wofür eine zuverlässige Einkaufsorganisation benötigt wird.

Um dies zu verdeutlichen stellen Sie sich einfach vor, Sie hätten ein zulassungsfähiges Fahrzeug (Materielle Lösung) gekauft. Um dieses Fahrzeug zu betreiben, benötigen sie beispielsweise Versicherungen und Werkstätten (Komplexe Dienstleistungen). Während der Nutzung sind Betriebsstoffe, geeignete Ersatzteile, Versorgungsartikel und vieles mehr (Betriebsbedingte Beschaffungen) einzukaufen. Im Laufe der Zeit geben Sie dafür erstaunlich viel Geld aus.

Der EinkaufBw ist ein Wirtschaftsfaktor und setzt pro Jahr einen mittleren einstelligen Milliardenbetrag um, damit der weltweite Betrieb der Bundeswehr aufrechterhalten wird. Dahinter steckt viel Fleiß, denn ohne Einkauf geht es nicht!

Wir. Sind. Anders.

Im Gegensatz zu anderen Bundesressorts oder Bundesländern ist die Beschaffung bzw. der Einkauf ein Dienstleister für die gesamte Logistik der Bundeswehr. Dies zeigt sich in vielen Facetten, denn es sind zentral wie dezentral Millionen Versorgungsartikel zu bewirtschaften, die darüber hinaus aus sehr vielen Branchen zu beschaffen sind. Häufig machen die militärischen Anforderungen die benötigten Produkte sehr speziell und damit teuer, denn es gibt dann nur wenige qualifizierte Anbieter und überdies ist die Nachfrage der Bundeswehr kaum planbar. Andere Beschaffungsorganisationen des Bundes unterschätzen gerne gerade diese Spezialisierung. Allerdings darf der militärisch getriebene Bedarf kein Totschlagargument gegen engere Zusammenarbeit im gemeinsamen Kaufhaus des Bundes sein.

Früher war mehr Beschaffung!

Bis nach dem Ende des kalten Krieges wurden Versorgungsartikel in bedeutend größeren Stückzahlen beschafft, erhebliche Sicherheitsreserven eingelagert und auch deutlich mehr verbraucht. Das sorgte für hohe Versorgungssicherheit in der Bundeswehr und gute Auftragslage bei den Anbietern. Allerdings muss eine derartig aufwändige Logistik auch bezahlt werden. Gerade wenn die Leistungsfähigkeit und die Kosten ziviler logistischer Verfahren als Benchmark dienten, sah die Bundeswehr sehr alt aus. „Bessere Versorgung zu niedrigeren Kosten!“ forderte deshalb der damalige Generalinspekteur, was zur grundlegenden Reform der Bundeswehrlogistik führte. Dem Einkauf kam dabei eine herausragende Rolle zu: Handelsübliche Produkte sollten in Sortimenten gebündelt und nach Bedarfsermittlung möglichst für die gesamte Bundeswehr unter Vertrag genommen werden. Die bundesweit verteilten Beschaffer müssen dann nur aus diesen zentralen Bündelungsrahmenverträgen abrufen und abrechnen, um direkt beliefert zu werden. Weniger Verträge, weniger Logistik, weniger Personal, weniger Kosten, gegenüber mehr Standardisierung, mehr Digitalisierung und schnellere Lieferung, so sah die Gleichung aus. Vom aufwändigen „Jeder beschafft alles“ hin zum strategisch ausgerichteten Einkauf sollte der Weg führen! In den Präsentationen waren die Möglichkeiten des strategischen Einkaufs schier unbegrenzt, die zu hebenden Potenziale geradezu gigantisch. Kräftig wurde für diese Ideen geworben, zumal die Pilotsortimente tatsächlich recht erfolgreich waren. Die Bäume des Einkaufs schienen in den Himmel zu wachsen!

Die Grenzen des Wachstums

Tolle Ideen von externen Beratern und hohe Motivation der Beteiligten reichen aber bei Weitem nicht aus, um eine große und vielfältige Organisation wie die Bundeswehr auf strategischen Einkauf umzustellen. Eine ehrliche Bilanz der letzten zehn Jahre bringt dies zu Tage. Sinnvolle Sortimentsbildung setzt in gewissem Maße Standardisierung voraus, zudem sind aktuelle technische Leistungsbeschreibungen notwendig, wenn der Einkauf nicht vergaberechtlich Schiffbruch erleiden soll. Der häufig unstetige Bedarf ist zu prognostizieren, bedarfsgerechte und wirtschaftliche Packungsgrößen zu definieren. Schließlich sind die notwendigen Haushaltsmittel bereitzustellen, ein IT-gestütztes Bestellwerkzeug bundeswehrweit verfügbar zu machen und alternative Bestellwege zu sperren. Dezentrale Beschaffer sollten ihre lokale Marktmacht teilweise aufgeben und zentral beschaffen damit die Bundeswehr insgesamt wirtschaftlich agieren kann. Letztlich führte diese Zentralisierung zu vielen kleinen Verschiebungen, ohne dass darauf zielgerichtet reagiert werden konnte. Was gab es deshalb viele organisationsbereichs-übergreifende Veranstaltungen, gemeinsame Teilprojekte, Berichte, Maßnahmen, um den vorstehenden Herausforderungen Herr zu werden! Aber dennoch, das zu optimistische Werbeversprechen des Einkaufs konnte nicht gehalten werden. Zu viel Theorie, zu viele Anglizismen, zu wenig Durchsetzungskraft! Diesen Eindruck hatten manche Kritiker. Bald herrschte Stimmung wie beim Waldsterben, zumal die SASPF-Einführung ihre dunklen Schatten voraus warf.

Ohne Banf kein Kampf!

Im Rahmen des Projektes der Standard-Software-Anwendungsprodukt-Familie SASPF definiert sich der Begriff Bestellanforderung (Banf) als Aufforderung an den Einkauf ein Material oder eine Dienstleistung in einer definierten Menge zu einem bestimmten Termin zu beschaffen. Zusammen mit der Einführung des AI-Vergabemanagers, einer datenbankbasierten Softwarelösung für Vergabestellen, sollte die Abwicklung von Vergabeverfahren im Einkauf damit spürbar erleichtert und beschleunigt werden.

Dies setzt voraus, dass die Einkäufer, also die Anwender, vorab ausgebildet wurden, um die Software versiert mit den notwendigen Beschaffungsdaten zu befüllen. Nur so kann der Beschaffungsprozess zum Erfolg geführt werden. Man ahnt es schon: Jede Migration nach SASPF fordert ihre Opfer, weil alle Datenmängel der Vergangenheit schlagartig ans Tageslicht gebracht und mühsam abgestellt werden müssen.

Die Opfer hier waren die „Einkaufsperformance“, die Geduld der Bedarfsträger und die Nerven der Einkäufer. Als Kollateralschaden waren zumindest zeitweise die Nerven unserer Rüstungsstaatssekretärin betroffen, denn der daraus resultierende Banf-Stau wirkte sich negativ auf die ganze Bundeswehr aus und über dessen Folgen wurden in der Presse berichtet. Dr. Suder hat sich nicht nur ins ferne Berlin berichten lassen, sie ist ihrem Ruf treu geblieben und hat sich vor Ort in Koblenz gezielt informiert. Gut so, denn wie gesagt, ohne Einkauf geht es nicht. Grundbetrieb und Einsatz gehen ohne Ersatzteile ebenfalls nicht. Einkauf ohne geeignete Stammdaten geht überhaupt nicht.

Einkauf – Die unterschätzte Aufgabe

Manchmal hilft der Blick über den Tellerrand. Die Direktorin des Beschaffungsamtes des Bundesinnenministeriums, Dr. Birgit Settekorn, skizzierte kürzlich in einem öffentlichen Vortrag den Wandel. Unter dem Titel „Vom operativen zum strategischen Beschaffer“ machte sie zunächst deutlich, dass zwar das Vergaberecht in den vergangenen Jahren immer umfangreicher geworden ist, der finanzielle Druck immer mehr zugenommen hat und die Erwartungen an die Beschaffer stetig gestiegen sind – aber die Rahmenbedingungen für diese Arbeit nicht Schritt gehalten haben. Dr. Settekorn unterstrich, dass die Aufgabe eine der anspruchsvollsten sei, die der öffentliche Dienst derzeit zu bieten habe: „Beschafferinnen und Beschaffer müssen Virtuosen sein, die die Ziele techno-ökonomischer Projekte in einem rechtlichen Korsett in allen Aspekten pragmatisch und lösungsorientiert zum Erfolg führen. Hierbei dürfen sie die politischen Rand- und Rahmenbedingungen nicht aus den Augen verlieren.“

Kehren wir zurück zur Bundeswehr und deren Rahmenbedingungen. Überall fehlen verlässliche und brauchbare Daten in der Bundeswehr, nicht nur für den Einkauf. Das Kaputtsparen gestern kommt uns heute teuer zu stehen, aber jammern hilft nicht. Diese Mängel müssen schnellstmöglich abgestellt werden, sonst wird das Chaos nur noch schlimmer. Der EinkaufBw ist in diesem Falle nicht das Problem, er bringt nur die Probleme an die Oberfläche.

Dazu kommt noch die Auftragsflut. Wenn die Banf-Bearbeitung immer noch so aufwändig ist und Ersatzteile fehlen, muss sich die Logistik von pseudowirtschaftlichen Kleinstbestellungen lösen und marktangemessene Sortimente unter Vertrag nehmen. Vor allem wenn es um Ersatzteile mit speziellen Eigenschaften geht, sind realistische strategische Reichweiten von größter Bedeutung. Diese Lektion hat auch die Automotive-Industrie gelernt, als Fertigungsbänder wegen Teilemangel stillstanden und zu großem wirtschaftlichen Schaden führten. Eine zu schlanke Logistik verkraftet kaum Störungen. Also müssen dahingehend weniger, aber bessere Bestellanforderungen an den Einkauf gehen und angemessene Vorräte gelagert werden. Rechtlich einwandfreie Vergaben dauern ihre Zeit und die gewerbliche Wirtschaft wartet nicht auf die Bundeswehr. Eine zuverlässige Logistik muss diese Rahmenbedingungen verstehen und berücksichtigen.

Zu wenig Personal für zu viele Aufträge?

Aktuell wird der Einkauf personell verstärkt, aber der reflexartige Ruf nach noch mehr qualifiziertem Personal führt allein nicht zur dauerhaften Lageverbesserung, weil es dieses zusätzliche Personal schlicht nicht geben wird. Es ist schon schwierig genug, das vorhandene Personal zu halten, weil die Arbeitsbedingungen dem Vernehmen nach wenig attraktiv und der Krankenstand hoch ist.

Schlechte Stimmung trotz guter Auftragslage, wie kommt denn das?

Nun, PowerWorkshops, Roundtables, Scorecards und dergleichen mehr, der ganze „denglische“ Überbau geht vielen Leuten auf die Nerven, weil er als zeitraubender Aktionismus und nicht als praktische Hilfe empfunden wird. Schließlich läuft die Optimierung des Einkaufs zum Musterschüler schon seit vielen Jahren. Wenn aber die zu hoch gesteckten Ziele nicht erreicht werden, weil der Bearbeitungsfluss stockt, wird man leicht als Problemkind wahrgenommen. Das wiederum schlägt auf die Stimmung und senkt die Arbeitszufriedenheit. Schade drum, denn eigentlich ist der EinkaufBw ein mächtiges Zukunftsprojekt mit hohem Attraktivitätspotenzial an der Schnittstelle von gewerblicher Wirtschaft und öffentlicher Beschaffung. Identifikationsstiftend ist der EinkaufBw allemal, denn er stattet unsere Soldatinnen und Soldaten mit bestmöglichem Material aus, wenn die Rand- und Rahmenbedingungen dies erlauben. Positive Beispiele gibt es mehr als genug, darüber berichtet die Presse leider nicht.

Raus aus der Krise, ran an die Banf

Im Vordergrund muss noch mehr die originäre Dienstleistung stehen. Wie sich der zukünftige Einkauf alternativ ausgestaltet, interessiert den Bedarfsträger vor Ort kaum, er will vorrangig sein benötigtes Material. Wer zu viel optimiert, macht sich selbst schlecht.

Im Mittelpunkt müssen aus Sicht des VBB die Beschafferinnen und Beschaffer stehen, damit der Einkauf so liefert, wie er soll. Ein gutes Arbeitsklima kann beflügeln, realistische Zielsetzungen können Arbeitszufriedenheit schaffen.

Im Hintergrund wird das Beschaffungsamt des Bundesinnenministeriums überwiegend positiv wahrgenommen. Demgegenüber ist die Wahrnehmung des EinkaufBw gemischt, obwohl der EinkaufBw durchaus liefert. Das gibt einem zu denken.