25. Juni 2018

Rüstung unter Druck – Was macht die Presse?

Das vormals beklagte freundliche Desinteresse an der Bundeswehr ist längst einer kritischen Aufmerksamkeit der Presse gewichen.

Waren anfangs noch pauschalisiert vorgebrachte Vorurteile und teilweise diskriminierende Bewertungen eher die Regel als die Ausnahme, finden sich immer mehr gut recherchierte, differenzierte Beiträge in den Medien. Das lässt auf mehr Objektivität in der Berichterstattung und bessere öffentliche Wahrnehmung hoffen. Für die Sommerausgabe unseres VBB-Magazins präsentieren wir einen anregenden Streifzug zum Thema Ausrüstung und mehr.

Bundeswehr-Ausrüstungsprobleme: Leidende Truppe und ängstliche Beamte

Ein bemerkenswerter Beitrag findet sich im Internet bei www.heute.de mit dem Titel „Bundeswehr-Ausrüstungsprobleme - Die Beamten haben Angst, Fehler zu machen“. Marcel Burkhardt hat einige lesenswerte Fakten und Zustandsbeschreibungen zusammengetragen.

Der Wehrbeauftragte des deutschen Bundestages macht demnach als einen Hauptgrund für die Misere beim Materialeinkauf den ausufernden Papierkrieg aus: „In den vergangenen Jahren haben wir einen extremen Aufbau bürokratischer und rechtlicher Hürden bei der Beschaffung erlebt. Das Prozedere ist extrem komplex und die Beamten haben Angst, Fehler zu machen, die sehr teuer werden können, das führt zu weiteren Verzögerungen.“ Weiter wird das aktuelle Vergaberecht als „großer Brocken“ bezeichnet, der zu deutlichem Mehraufwand und vor allem zu zahlreichen juristischen Auseinandersetzungen führt.

Treffend analysiert und auf den Punkt gebracht: Ausgebremst vom Regelungswahn

Diese Beschreibung lässt sich nämlich zwanglos mit den Erfahrungen vieler Kolleginnen und Kollegen in Deckung bringen. In der Vergangenheit war der besondere Reiz der Projektarbeit militärische Forderungen in technische Leistungsbeschreibungen zu übersetzen. Diese sind die wesentliche Grundlage, um benötigte Leistungen an die gewerbliche Wirtschaft zu vergeben. Trotz unvermeidlicher Bürokratie des Auftraggebers Bundeswehr konnte teilweise überraschend schnell beschafft werden, wenn sich technisches Projektmanagement und Vertragsteam verstanden, weil Freiräume genutzt werden konnten.

Heutzutage haben es Gesetzgeber und die Bundeswehr selbst geschafft, jegliche Flexibilität im Keim zu ersticken. Vorausschauende, großzügige Planung und Realisierung gehen eigentlich nie, denn dann könnte der Bundesrechnungshof annehmen, dass Verschwendung vorliegt, weil nicht sparsam genug agiert wurde. Aus wohl berechtigter Furcht, öffentlich angeprangert zu werden, wurde ein erstickendes Regularium erschaffen, dass unbedingt einzuhalten ist. Der eigentliche Zweck, Handlungssicherheit herzustellen und Prozessdenken zu gewährleisten, wurde mehr als konterkariert. Projektteams fluchen, weil die erschöpfende Vorschriftenlage eher hemmt als fördert. Vertragsteams machen sich mit dem unvermeidlichen Formalismus unbeliebt. Gleichzeitig wurden die Rechte der Auftragnehmer massiv gestärkt. Bei öffentlichen Aufträgen genießen die Anbieter weitreichenden Schutz und verfügen über beachtliche Macht. Alles dauert länger, alles ist komplizierter und die militärischen wie zivilen Vorgesetzten wirken nicht selten ratlos, können nicht wirklich helfen. Demgegenüber stehen immer wieder die plakativen Forderungen: Beschaffungen sind zu beschleunigen! Nicht selten von den Menschen, die mittelbar oder unmittelbar die Beschaffungen entschleunigen!

Die Einhaltung von Vorschriften und Gesetzen bleiben oberstes Ziel

Hat Mann oder Frau es endlich geschafft, die internen Hürden zu überwinden, gibt es oft Probleme mit der gewerblichen Wirtschaft, die spezielles, dringend benötigtes Material zu den geforderten Bedingungen nicht liefern kann oder will. Wer dann falsch verstandene Flexibilität an den Tag legt, hat ganz schnell eine Rüge oder mehr zu verantworten, was den Vergabevorgang noch länger macht und viel beruflichen Ärger zur Folge hat. In der täglich gelebten Praxis ist die Einhaltung von Vorschriften und Gesetzen oberstes Ziel, unternehmerisches Wagnis ist demnach nachrangig und wird selten belohnt.

Angepasste Führungskultur

Wenn das Vorhaben klappt, wird es als Selbstverständlichkeit registriert, wenn nicht, bekommen die Verantwortlichen Schuldzuweisungen statt Hilfe. Deshalb agieren manche Beschäftigte, zivil wie militärisch, gefühlt übervorsichtig, beinahe ängstlich. Es fehlt offenbar mancherorts das Vertrauen in eine schützende Hierarchie; mehr noch, die zivilen wie militärischen Beschäftigten haben sich an das vorgegebene, oktroyierte Verwaltungshandeln angepasst. Das schmeckt nicht jedem!

Die Wut der Anderen

Was viele Kritiker nicht wissen oder vergessen zu erwähnen ist die Tatsache, dass militärische Güter vernetzt im logistischen System der Bundeswehr zu betrachten sind. Es gibt nahezu kein isoliertes System, alles muss zueinander passen. Das macht die technischen Anforderungen häufig extrem komplex, dadurch werden die Beschaffungswege lang und kostspielig. Zu lang und zu kostspielig? Einkaufen geht privat doch viel schneller, oder? Vorsicht, der Vergleich hinkt: Bedeutet handelsüblich verfügbar immer militärisch geeignet? Sollen etwa Ersatzteile ohne Zulassung oder nachgewiesene Eignung beschafft werden, weil das schneller und billiger geht? Sollen etwa technische Schutz- und Sicherheitsvorschriften außer Kraft gesetzt werden, weil deren Einhaltung den Preis treibt und die Beschaffung erschwert? Schnelligkeit vor Gründlichkeit, wer will dafür die Verantwortung übernehmen?

Wenig hilfreich ist es, wenn sich manche Soldaten offenbar zur Aussage „Dort sitzen Verhinderer, keine Macher!“ hinreißen lassen. Andere zu beschimpfen löst das Problem nicht, zumal die Rahmensetzung und Planung eben nicht in Koblenz erfolgt. Wie wäre es, wenn endlich eine ordentliche, verantwortungsvolle Ressourcenbetrachtung und daraus folgende realistische Planung durchgeführt würde? Oder wenn man die Rahmenbedingungen ändert, mehr Vereinfachung, mehr Digitalisierung? Immer mehr Aufträge durchzuschieben und zu hoffen, die Amtsebene wird schon irgendwie priorisieren, geht am Führungsanspruch weit vorbei. Tolle bürokratische Planung, die grundlegende Rahmenbedingungen ausblendet, ist letztlich Ressourcenvergeudung. Die Welt vor dem Kasernenzaun ist manchmal schwieriger als im bewachten militärischen Sicherheitsbereich dahinter. So mancher Stratege oder Strategin spricht das mittlerweile öffentlich an, aber wer bietet eine realitätsnahe Lösung an? Stattdessen wurden lieber Kästchen gemalt, wurde umorganisiert, von gravierenden Mängeln oder prominent von einer generellen Misere öffentlich geredet. Und hat uns das einer Problemlösung näher gebracht?

„Die Bundeswehr braucht einen Neuanfang“

In einem Kommentar der Wirtschaftswoche geht Ferdinand Knaus schonungslos mit der Bundesführung und deren Führungskultur ins Gericht. Er stellt fest: „Mit Geld und Korrekturen ist es für die Bundeswehr nicht getan. Wenn Rüstungsausgaben einen Sinn haben sollen, muss die Politik grundlegende Vorgaben machen und das Verhältnis von Militär und Industrie neu ordnen. Deutschland hat laut SIPRI-Studie den neunthöchsten Militäretat der Welt, doch die Bundeswehr liegt darnieder. Das Problem steckt in der aufgeblähten Kaste der Generäle. Die Bundeswehr und vor allem der sie umgebende Bürokratiekomplex sind zu einem ziellos agitierenden Institutionengefüge geworden.“

Seine weiteren Schlagworte sind Orientierungslosigkeit, im Offizierskorps lähmende Duckmäusermentalität, verantwortungsscheuer Karrierismus im höheren Offizierskorps. Heftig wird der Generalstabsdienstlehrgang als entmilitarisiert kritisiert. Dann sind die Büro-Offiziere und die Beamten dran, die sich aus seiner Sicht andrehen lassen, was die Industrie loswerden will. Der Kommentator der Wirtschaftswoche fordert die stärkere Einbindung von Industrie und einsatzerfahrenen Offizieren, um zukünftig zu vermeiden, dass die rechtliche Absicherung des Beschaffungsprozesses wichtiger ist als beispielsweise eine sichere Ersatzteilversorgung. Er regt eine personelle Verzahnung an, damit die zu beschaffenden Produkte stärker den soldatischen Bedürfnissen entsprechen.

Sehr starker Tobak, den man als Bundeswehrangehöriger zweimal lesen muss, um zu glauben, was dort steht. Inwieweit Analyse, Beurteilung und Schlussfolgerungen zutreffend sowie hilfreich sind, mag jede Leserin und jeder Leser der Wirtschaftswoche für sich beurteilen. Der Kommentar ist allerdings ein wichtiger Indikator für den politischen Druck, der sich im Zuge der Debatte um die Rüstungsaufgaben aufgebaut hat.

„Bericht des Rechnungshofs Mängel bei der Bundeswehr verschleiert?“

Weil in den vergangenen Jahrzehnten die Belastung der verbliebenen Ausrüstung immens wuchs, verschliss selbst das anerkannt robuste Material der Bundeswehr schneller als gewohnt. Um den Schein zu wahren, wurde Waffensysteme sprichwörtlich kannibalisiert, also überzählige Systeme zerlegt. „Hochwertersatzteilgewinnung“ wird dieses Ausschlachten verniedlichend genannt. Nun konnte wieder entsprechende Einsatzbereitschaft und günstige Materiallage gemeldet werden. Was hätte man sonst machen sollen? Geld und Ersatzteile gab es dafür ungenügend, schließlich fordern die Einsätze auch materielle Opfer. Weitere Auswüchse waren fehlende Ersatzteile sogar bei neuen Waffensystemen, für die bis vor kurzem auch zu wenig Geld da war. Allerdings fand der Bundesrechnungshof dieses karriereförderliche Meldewesen überhaupt nicht witzig und hat dies kritisch dem Haushaltsausschuss des deutschen Bundestages berichtet, wie Sabine Müller vom ARD-Hauptstadtstudio bei tagesschau.de schreibt.

Problem gelöst? Die Illusion der Umorganisation

Strecken, Schieben, Streichen! Schuld daran war immer die ausführende Rüstung, zumal sich die Streitkräfte erfolgreich von den ungeliebten Nutzungsaufgaben trennen konnten. Alle bisherigen Verteidigungsminister waren gegenüber sparwilligen Finanzministern faktisch machtlos, also wurde Personal und Material abgebaut. Jeder Verteidigungsminister hat intensiv umorganisiert, um demonstrativ die Spuren seines Vorgängers zu verwischen. Schließlich will man bleibenden Eindruck hinterlassen. Sahnehäubchen waren diverse hochrangige Kommissionen, die sich am Thema Ausrüstung verlustierten und gerne das Hohelied der Privatisierung sangen. Zu häufig hat Dogmatismus den Blick auf die echten Ursachen verstellt, aber die Bundeswehrführung hat sich selbst auch nicht mit Ruhm bekleckert. Selbstbeschäftigung ging vor Ausrüstung, immer mehr „unproduktive“ Bundeswehrbürokratie, immer weniger verfügbares Material, immer mehr Einsätze, aber kein Ausstiegsszenario aus dieser Spirale nach unten. Man muss diese Historie kennen, um die richtigen Schlüsse zu ziehen und alte Fehler nicht zu wiederholen.

„Die Bundeswehr wächst endlich wieder“

So zitiert welt.de Anfang Juni unsere Bundesministerin Dr. von der Leyen. Es bedurfte nämlich einer Verteidigungsministerin und einer Staatssekretärin, um die lang ersehnten Trendwenden einzuleiten, um den Fokus auf eine bessere Ausrüstung zu legen. Abgesehen von organisatorischen Nachjustierungen wurde größten Wert auf leistungsfähiges Rüstungsmanagement gelegt. Das vielgescholtene Koblenzer Amt mutierte zu einer „unter Volllast arbeitenden Megabehörde“, in der die Beschäftigten zeigten, was innerhalb der Vorgaben und Rahmenbedingungen machbar ist. Genau diese Vorgaben und Rahmenbedingungen sind offensichtlich das Problem!

Transparenzkultur in der Rüstung: Das Projekt Pfeil

Dass nicht nur Ersatzteile, sondern auch Respekt und Wertschätzung fehlen, diese Befürchtung hegen die Kolleginnen und Kollegen nach den Enthüllungen um das geheimnisvolle Projekt Pfeil. Mit gefühlter Heimtücke traf dieser ministerielle „Pfeil“ direkt ins Herz der betroffenen Beschäftigten, die sich heute noch im Behördensystem bewegen müssen, sich aber bald in einer Inhouse-GmbH oder Anstalt des öffentlichen Rechts wiederfinden sollten. Flankiert wurde das Geheimvorhaben von immer wieder auftauchenden Presseberichten zu Mängeln in der Beschaffung, zu fehlender Ausrüstung, zu Personalmängel und unbesetzten Stellen. Das berühmt berüchtigte „Zeughaus am Rhein“ sollte sturmreif geschossen werden, damit mit den besten Beratern endlich ein Neuanfang begonnen werden kann, der die bisherigen „Systemgrenzen“ überwindet. Damit haben sich die ministeriellen Auftraggeber ein veritables Armutszeugnis ausgestellt, denn wer sonst als das Ministerium ist für seinen nachgeordneten Bereich verantwortlich? Teure Berater müssen also Sachverhalte zu Strukturen und Organisationsformen recherchieren und analysieren, die Dinge mal querdenken. Kann sonst anscheinend keiner oder keine! Wen wundert es da noch, dass der vorgefundene Zustand dramatisch schlecht ist und nur mit viel externer Beratung sowie Privatisierung uneigennützig gerettet werden kann. Gibt der Staat Steuermittel dafür aus, dass er die Unvorteilhaftigkeit seines Handelns und seiner Vorschriften bescheinigt bekommt?

Kleiner Exkurs: War unsere Staatsseketärin wirklich gut beraten?

Die Idee, sogenannte „Leuchtturmprojekte“ aus den Projektabteilungen herauszulösen und diese individuell in einer Projektorganisation zu bearbeiten, kann aus Sicht der Führung sehr vorteilhaft sein. Bei der Projektauswahl sollte allerdings deren Vorlauf und Eignung angemessen beachtet werden, besonders, wenn schnelle Erfolge vom politischen Raum erwartet werden. In diesem Zusammenhang ausgerechnet das taktische Luftverteidigungssystem TLVS auszuwählen, ist schon sehr gewagt. Seit Jahrzehnten wird an diesem politisch wie technisch extrem anspruchsvollen Großprojekt gearbeitet, das zeitweilig MEADS hieß. Mit unterschiedlichen Partnernationen wurden seither Millionen von DM und Euro ausgegeben, sportliche Zeitpläne vorgelegt, dutzende von leistungsfähigen Beamten und Soldaten verschlissen. Ist die beteiligte Industrie überhaupt in der Lage, die hochgesteckten Erwartungen beim verfügbaren Haushaltsansatz zu erfüllen? Muss man wirklich volles Risiko gehen und mit einem der schwierigsten Projekte als Leuchtturm beginnen? Und wo bleibt der prognostizierte schnelle Erfolg? Aber es gibt noch weitere erstaunliche Projekte.

Hatte der VBB einen kleinen Wissensvorsprung gegenüber der Verteidigungsministerin?

Die Überraschung war groß, als eine Kurzbeschreibung des Geheimprojektes Pfeil quasi aus dem Nichts kommend im VBB vorlag, was eine außerordentliche wie außergewöhnlich gut besuchte Mitgliederversammlung nach sich zog. Die Empörung der Basis war ebenfalls groß, denn die Vorgehensweise im Projekt Pfeil steht diametral den Grundsätzen des Zielbildes Rüstung entgegen. Schon Otto Graf von Bismarck wusste: „Vertrauen ist eine zarte Pflanze. Ist es zerstört, kommt es sobald nicht wieder.“

Unsere Verteidigungsministerin hat allerdings nach einigem Hin und Her persönlich den Gesprächsfaden in Koblenz aufgenommen. Sie erläuterte, wie die im Koalitionsvertrag getroffenen Vereinbarungen im Rüstungswesen umgesetzt werden sollen. Ihr war das Projekt Pfeil so nicht bekannt, wie sie persönlich den Beteiligungsgremien wohl erläuterte.

Das Projekt Pfeil – Ernstzunehmende Handlungsoption oder überfrachtete Vision?

Worum geht es beim Projekt Pfeil inhaltlich? Kernforderung der Analysen sind die Erweiterung der Handlungs- und Entscheidungsfreiräume hinsichtlich Organisation, Personal und Haushalt, um markt-, service- und skalenorientierter, professioneller, wirtschaftlicher, flexibler und effizienter agieren zu können. Ach ja, nicht zu vergessen, eine marktübliche- und erfolgsorientierte Bezahlung der Mitarbeiter sollen Garanten für das Gelingen des Beschaffungsprozesses sein.

Diese Zielsetzungen lesen sich wunderbar, jedoch ist die Ausgestaltung des Weges dorthin entscheidend! Querdenken kann sehr hilfreich sein, aber Fachkenntnis und gesunder Menschenverstand dürfen nicht ausgeblendet werden, wenn es nicht nur um viel Geld und Macht, sondern besonders um tausende Arbeitsplätze von Menschen geht. Genau wie in erfolgreichen Unternehmen brauchen wir Konzepte, die umsetzbar sind und nicht auf Phantasien beruhen! Und deshalb brauchen wir mehr denn je Entscheider mit Fachkenntnis und gesunder Menschenverstand!

Erschütternd: Der Blick in den Spiegel

Unter dem Titel „Alle Mittel erlaubt“ haben Spiegel-Redakteure recherchiert und ihre Sicht der Dinge dargelegt. Den Link zum Beitrag finden sie auf unserer Homepage und das Thema haben wir schon ausführlich behandelt. Das im Spiegel beschriebene Konzept vom „disruptiven Parallelweg“ und dem „Schnellboot der Rüstungsbeschaffung“ ist spannend und gipfelt in der Empfehlung einer Rüstungsagentur außerhalb der Einflussnahme von Ministerium und Rüstung. Und was ist mit dem Einfluss der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie? Den wird man nicht mehr leichtfertig unterschätzen, wenn man die 91 minütige arte.tv - Reportage „Armeen im Griff der Konzerne - Verteidigung als Geschäft“ gesehen hat, die in der dortigen mediathek bis 09.09.2018 verfügbar ist.

„Aus vollen Rohren“

Die Querelen und Unstimmigkeiten bei der Privatisierung der Panzerwerkstätten, gemeint ist die HIL Heeresinstandsetzungslogistik GmbH, sind zwar seit Monaten bekannt, aber die Spiegel-Redakteure Becker und Röbel haben sich dennoch des Themas angenommen und erstaunliches recherchiert. Wie in Ausgabe 26/2018 zu lesen, beauftragte das Ministerium für 42 Millionen Euro Anwälte und Unternehmensberater, um den Verkaufsprozess zu organisieren. Die Mittel stammen dem Vernehmen nach aus dem Etat der HIL GmbH. „Statt das Geld in die bessere Wartung von Panzern zu stecken, flossen Steuermittel in die Taschen der Beraterarmee.“ Die Beratungsleistungen wurden nicht mehr ausgeschrieben, sondern freihändig vergeben, so fließen dicke Millionenbeträge an Berater. Die Privatisierungsmaßnahmen werden fortgesetzt, denn „Interne Unterlagen zeigen, wie Berater und Rüstungsfirmen davon profitieren würden.“ Mittlerweile sind die Vorgänge ein Politikum.

Teilweise hat man den Eindruck, gescheiterte Konzepte aus der Scharping-Ära werden recycled und von externen Propheten aufgehübscht, von wegen „lessons learned“! Damals wie heute fehlt wohl die konzeptionelle Bodenhaftung, ohne die die Bundeswehr als öffentlicher Auftraggeber nicht agieren kann. Nach wie vor gilt: Echte Verbesserung ja, unsinnige Experimente nein! Weiteres Beispiel gefällig? Selbstverständlich sind die etwa 14.000 Seiten Produktspezifikation für das taktische Luftverteidigungssystem heftig und werden offenbar von Beratern als Papierkrieg gebrandmarkt. Wie wichtig angemessene Spezifikationen sind, zeigt sich bei der Lektüre des Beitrags „So teuer wie vier Elbphilharmonien“ von Kai Biermann in der ZEIT. Dort geht es um die neuen Fregatten der Klasse 125 und ihre Mängel. Und die Bundesmarine wartet weiter.

Zu allem Überfluss Personalmangel

Dann ist da noch die „schwere Hypothek“ des eklatanten Personalmangels. Dazu gibt es einen bildhaften Vergleich. Jahrzehntelang wurde die Bundeswehr aufgebaut und stabilisiert, wie ein stabiler Wald, der dem eisigen Ostwind trotzen sollte. Das Klima zwischen Ost und West hat sich glücklicherweise verbessert, was den Wald entbehrlich zu machen schien. Wer nun über Jahre den Wald massiv abforstet und bald darauf merkt, dass er doch mehr stabile Bäume braucht, um zu funktionieren, darf sich nicht wundern, wenn das seine Zeit dauert. Im Wald wie beim Zivilpersonal war der Nachhaltigkeitsgedanke nicht sehr ausgeprägt und die Folgen müssen wir heute aushalten. Wer nun mit dem Finger auf das BAAINBw oder das zuständige BAPersBw zeigt, denkt in alten Problemen, nicht in innovativen Lösungen. Eine schnelle und brauchbare Digitalisierungsinitiative könnte wundersam wirken, denn wo soll das neue Personal herkommen? Außerdem wird eine große Zahl erfahrener Kolleginnen und Kollegen aus dem aktiven Dienst ausscheiden. Insofern liegt so manche Beratergesellschaft nicht falsch, wenn „disruptive“, also grundlegend neuartige Lösungsansätze angemahnt werden. Es ist mehr als notwendig, dass die digitale Revolution in den Köpfen der Bundeswehr ankommt und die Chancen notwendigerweise genutzt werden. Aber dies ist eine andere Geschichte…