17. März 2022
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Auswirkung der 100 Milliarden Sondervermögen auf den Auftrag und die Arbeit der Beschäftigten der Bundeswehrverwaltung

Bundeskanzler Scholz hat am 27. Februar 2022 in einer vielbeachteten Rede als Antwort auf den Überfall Russlands auf die Ukraine der Bundeswehr 100 Milliarden Euro versprochen. Ebenfalls angekündigt wurde die zukünftige Einhaltung der 2% Ziels, auf das sich die NATO-Partner nach der Annexion der Krim durch Russland in 2014 verpflichtet hatten.

Nach ersten Vermutungen, es könnte sich um zwei Ziele handeln, die unabhängig voneinander sind bzw. kumulativ nebeneinanderstehen, wurde relativ schnell deutlich, dass beide Forderungen miteinander verwoben sind. Dies geschieht in der Art und Weise, dass die 100 Mrd Euro auf der Zeitlinie in den nächsten Jahren der Erfüllung des 2% Ziels dienen und inhaltlich der Erreichung des Fähigkeitsprofils entsprechen, das die militärischen Planer der Bundeswehr bereits identifiziert hatten. Die 100 Mrd Euro entsprechen also in etwa dem Delta zwischen dem bisher geplanten Soll und dem finanziellen Ist. Nach den Wünschen der Planer wäre jetzt allerdings ein kontinuierlicher Mittelabfluss innerhalb der nächsten 10 Jahre ein erstrebenswertes Ergebnis, weil damit die Hoffnung auf nachhaltige und von der Industrie tatsächlich zu leistende Beschaffungen verbunden wird.

Wie oben dargestellt, steht zeitlich vor jeder Beschaffung die Planung des Bedarfs. Der vom Generalinspekteur verantwortete Planungsprozess ist umfangreich und langwierig. Aus den internationalen Verpflichtungen und Wünschen der militärischen Teilstreitkräfte ergeben sich vielfältige Forderungen, die abgestimmt und priorisiert werden müssen. Hinzu kommt, dass nicht alle Wünsche und Forderungen von der Rüstungsindustrie erfüllt werden können oder dass es zu erheblichen Verschiebungen durch vergaberechtliche Streitigkeiten kommt. Berücksichtigen müssen die Planer dabei auch immer, dass für das Material auch die entsprechende Infrastruktur und ausgebildetes Personal vorhanden und bezahlt werden muss.

Für die Betrachtung der Auswirkungen der 100 Mrd Euro sind diese Rahmenbedingungen von erheblicher Relevanz für diejenigen, die die entsprechenden Verträge ausarbeiten, verhandeln und schließen sowie am Ende das Geld ausgeben müssen. Diese Aufgabe wird bei der Bundeswehr von unseren Kolleginnen und Kollegen des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) erfüllt. Zurzeit sind etwa sechstausend Beschäftigte mit fünftausend Projekten befasst.

Die Umsetzung der 100 Mrd Euro aufgrund der oben dargestellten Rahmenbedingungen muss nicht notwendigerweise Auswirkungen auf die Arbeit der versierten und erfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BAAINBw haben, falls es nur zu einer Erhöhung von Stückzahlen käme.

Aber so einfach wird das nicht sein, denn der Generalinspekteur ist gezwungen, seine Planungen anzupassen. Die bisherigen Planungen stammen aus der 19. Legislaturperiode. Politische Vorgaben der neuen Regierung wurden noch nicht berücksichtigt. Und die bisherigen Planungen waren nicht auf eine militärische Bedrohungslage ausgerichtet, die wir jetzt erleben. Der Zeitfaktor spielt eine wesentlich stärkere Rolle. Die Marktverfügbarkeit von Gerät oder der schnellere Abruf aus bestehenden Rahmenverträgen werden neu zu bedenken sein. Auch die Frage der Steigerung der „materiellen Einsatzbereitschaft der Bestandssysteme“ muss vertieft geprüft werden.

Bei dieser Prüfung von Beschleunigungspotenzial bei der Beschaffung von neuem oder der Instandsetzung von vorhandenem Material sind die Kolleginnen und Kollegen des BAAINBw mit ihrer Projekt-, Vertrags- und Vergabeexpertise jetzt unmittelbar gefragt. Die Arbeitslast der Beschäftigten des Bundesamtes ist deutlich gestiegen.

Zusätzlicher Druck ist dadurch entstanden, dass die Vertreter der Rüstungsindustrie das Bundesamt mit Angeboten, wozu sie vom BMVg aufgefordert wurden oder sich aufgefordert fühlten, überhäufen. Aber leider ist das die falsche Adresse, denn der Planungsprozesses beginnt üblicherweise beim militärisch geführten Planungsamt der Bundeswehr. Das BAAINBw hat und wird die zahlreichen Angebote mangels Planungsgrundlage weiterreichen. Diese Arbeit hätte den Zivilbeschäftigten erspart werden können. Der öffentliche Druck seitens der Industrie, bei der sich gerade eine Goldgräberstimmung ausgebreitet hatte, ist hier vielleicht verständlich, aber nicht hilfreich und vor allem ungerechtfertigt.

Bei aller Beschleunigung kann es jedoch keine Abkürzung der Verantwortung des Generalinspekteurs für die Planungsentscheidungen geben.

Auch die Rechtmäßigkeit der Beschaffungsverfahren muss gewahrt bleiben. Das Vergaberecht kennt Ausnahmen wie u.a. die Berücksichtigung von „wesentlichen Sicherheitsinteressen“ i.S.d. Art. 346 AEUV. Die vergaberechtlich zulässigen Optionen zur Beschleunigung des Vergabeverfahrens werden durch die versierten Vergabejuristen und -juristinnen des Bundesamtes angewandt. Grundsätzlich besteht jedoch zunehmend die Tendenz, dass die Rüstungsindustrie die Verfahren rechtlich anzweifelt und gerichtlich überprüfen lässt, was sich auf die Dauer der Prozesse auswirkt.

Insgesamt steigt daher die Arbeitslast der Zivilbeschäftigten durch die zusätzlichen Mittel. Viel belastender wird von unseren Kolleginnen und Kollegen allerdings die öffentliche Kritik am Bundesamt empfunden. Optimierungspotenzial ist immer vorhanden, aber es ist völlig inakzeptabel, dass ein Bundesamt für einen problembehafteten Gesamtprozess verantwortlich gemacht wird, an dem militärische Planer und die Rüstungsindustrie einen nicht unerheblichen Anteil haben.