08. Juli 2020
Auf Facebook teilenAuf Twitter weitersagenArtikel versenden

Informationen zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG)

Das BTHG ist eine der größten und umfangreichsten sozialpolitischen Neuregelungen der vergangen Jahre. Auf Grund der anstehenden neuen Regelungen und Folgen durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) ergibt sich die Notwendigkeit, auch für unsere Mitglieder Informationen hierzu zu veröffentlichen.

Die Informationen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Bundeslandspezifische Besonderheiten bei Antragsstellungen und Gewährungen von Leistungen sind zu beachten.

Gleichwohl möchte ich Sie mit diesem Beitrag zu diesem Thema sensibilisieren. Viele Dinge schlummern im scheinbar verborgenen Untergrund. Sie sind aber präsent und rechtlich wirksam. Versäumte Fristen bei Antragstellungen und unzureichende Informationen können Nachteile an der Teilhabe zur selbstbestimmten Lebensführung für Menschen mit Behinderung haben.

                                                                                                                                                              

Mit den Begriffsbestimmungen aus dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) möchte ich einleitend zu den nachfolgenden Themen informieren.

§ 2 SGB IX Begriffsbestimmungen

(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach

Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.

(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.

(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).

 

Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG)

Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die am 26. März 2009 in Deutschland in Kraft getreten ist, gab wichtige Impulse für die Überlegungen zu dem BTHG. Zum zentralen Prinzip der UN-BRK zählt neben dem Schutz vor Diskriminierung insbesondere die „volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft“ (Artikel 3 UN-BRK). Mit dem BTHG wird das deutsche Recht in Bezug auf die UN-BRK weiterentwickelt.

Bisher mussten Menschen mit Behinderungen, die auf Unterstützung wie z.B. persönliche Assistenzen oder Hilfsmittel angewiesen sind, die für sie notwendigen Reha-Leistungen faktisch bei verschiedenen Leistungsträgern separat beantragen. Diese Leistungen waren teilweise von der Wohnform (z.B. Wohnung, Wohngemeinschaft oder Einrichtung) abhängig und es musste bei der Eingliederungshilfe ein sehr großer Teil des Einkommens und Vermögens von der Person selbst sowie von dessen (Ehe-)Partner eingesetzt werden.

Mit dem BTHG wird die Eingliederungshilfe aus dem „Fürsorgesystem“ der Sozialhilfe heraus geführt. Die Fachleistungen der Eingliederungshilfe werden zukünftig klar von den Leistungen zum Lebensunterhalt getrennt und finanziert. Dies ist ein umfangreicher Systemwechsel. Künftig steht damit der Mensch im Mittelpunkt. Was Menschen wegen ihrer Behinderung an Unterstützungsleistungen bekommen, ist dann nur noch davon abhängig, was sie brauchen und was sie möchten und nicht länger vom Ort der Unterbringung. Selbstverständlich bleiben die Ansprüche auf existenzsichernde Leistungen aus der Grundsicherung beispielsweise bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII bestehen.

  

Zeitlicher Verlauf der Umsetzung des BTHG

Die mit dem BTHG verbundenen Reformen traten/treten in mehreren Stufen in Kraft:

Die Reformstufe 1 trat ab dem 1. Januar 2017 in Kraft:

Ø  Ab 1. Januar 2017:

•          Änderungen im Schwerbehindertenrecht.

•          Erste Stufe bei Verbesserungen in der Einkommens- und Vermögensheranziehung, insbesondere durch die Erhöhung des Einkommensfreibetrags um bis zu 260 Euro monatlich und des Vermögensfreibetrags um 25.000 Euro.

•          Verdoppelung des Arbeitsförderungsgeldes von 26 Euro auf 52 Euro

Ø  Ab 1. April 2017:

•          Erhöhung des Schonvermögens für Bezieher von SGB XII-Leistungen von derzeit 2.600 Euro auf 5.000 Euro

 

Reformstufe 2 trat am 1. Januar 2018 in Kraft:

Ø  Einführung SGB IX, Teil 1 (Verfahrensrecht) und Teil 3 (Schwerbehindertenrecht).

Ø  Vorgezogene Verbesserungen im Bereich der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in der Eingliederungshilfe (im SGB XII).

 

Reformstufe 3 trat aufgrund notwendiger Umstellungsprozesse in der Sozialverwaltung am 1. Januar 2020 in Kraft:

Ø  Trennung der Fachleistungen der Eingliederungshilfe von den existenzsichernden Leistungen.

Ø  Zweite Stufe bei Verbesserungen in der Einkommens- und Vermögensheranziehung: Dies führt im Ergebnis dazu, dass die Leistungsbezieher mehr von ihren Einkünften behalten können. Bei Ehegatten/Partnern und bei hohem Einkommen kann die Entlastung höher ausfallen. Der Vermögensfreibetrag steigt auf rund 50.000 Euro. Partnereinkommen und -vermögen wird nicht mehr herangezogen.

 

Reformstufe 4 tritt zum 1. Januar 2023 in Kraft:

Ø  Leistungsberechtigter Personenkreis in der Eingliederungshilfe

(Artikel 25a BTHG, § 99 SGB IX).

 

Mit dem Gesetz sollen die Lebenssituationen von Menschen mit Behinderung zu mehr Teilhabe am Leben und mehr Selbstbestimmung verbessert werden. Die Eingliederungshilfe (EGH) soll zu einem modernen Teilhaberecht weiterentwickelt werden.

Darüber hinaus wird mit dem Gesetz das Schwerbehindertenrecht weiterentwickelt.

Mit dem BTHG wird die Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe herausgeführt. Hierdurch soll das Recht auf Teilhabe gestärkt werden. Es soll Menschen mit Behinderung mehr individuelle Selbstbestimmung und die dafür notwendige Unterstützung ermöglichen.

Die Fachleistungen der Eingliederungshilfe, vom Hauswirtschaftstraining bis zur Unterstützung bei der Lebensplanung werden von den Leistungen zum Lebensunterhalt, von der Miete über die Kleidung bis zu Lebensmitteln getrennt und finanziert.

Die Unterstützungsleistungen, die Menschen mit Behinderung erhalten, werden personenbezogen ermittelt. Alle Leistungen die zustehen sollen von dem zuständigen Kostenträger koordiniert werden.

So gibt es zukünftig nur noch einen zuständigen Ansprechpartner für Menschen mit Behinderung. Unklare Zuständigkeiten oder Streitigkeiten zwischen den Trägern, unnötige Mehrfachbegutachtungen und lange Bearbeitungszeiten der Anträge sollen so vermieden werden.

  

Bisher wurden die Leistungen für Menschen mit Behinderung in zwei verschiedenen Sozialgesetzbüchern geregelt. Im zwölften Sozialgesetzbuch (SGB XII) die Eingliederungshilfe und im neunten Sozialgesetzbuch (SGB IX) die Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Künftig werden die Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung aus dem SGB XII (Sozialhilfe) herausgelöst und im SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung) geregelt.

  

Die Vorteile des BTHG für Betroffene sind zum Beispiel:

·         Die Unterstützungsmaßnahmen setzen bereits vor der Rehabilitation ein und werden durch geförderte Modellprojekte gestärkt.

·         Ab dem 1. Januar 2018 reicht ein Reha-Antrag aus, um alle benötigten Leistungen von verschiedenen Reha-Trägern zu erhalten. Die Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger wird straffer geregelt. Leistungen „wie aus einer Hand“ werden möglich.

·         Die Betroffenen werden durch eine ergänzende unabhängige Beratung gestärkt.

·         Die Leistungen der sozialen Teilhabe werden in einem Leistungskatalog konkretisiert und gebündelt, Elternassistenz und Assistenz in der hochschulischen beruflichen Weiterbildung erstmalig ausdrücklich geregelt und neue Jobchancen in Betrieben für Werkstattbeschäftigte durch ein Budget für Arbeit geschaffen.

·         Im Arbeitsumfeld werden die Vertretungsrechte für Schwerbehindertenvertretungen und Werkstatträte gestärkt.

·         Die Eingliederungshilfe wird mit Blick auf den individuellen Bedarf erbracht und echte Wahlfreiheit bei der Unterkunft ermöglicht.

·         Beziehern von Leistungen der Eingliederungshilfe wird es nun möglich sein, deutlich mehr vom eigenen Einkommen zu behalten und zu sparen. Ehegatten und Lebenspartner werden zukünftig weder mit ihrem Einkommen noch mit ihrem Vermögen herangezogen. Künftig werden sowohl das Partnereinkommen als auch das Partnervermögen in der Eingliederungshilfe ab 2020 vollständig nicht mehr herangezogen.

Allerdings gelten auch zum Beispiel nachfolgende Regelungen zur Grundsicherung im Alter und oder bei Erwerbsminderung

Im Bereich der Grundsicherung gab es keine Änderungen hinsichtlich der Anrechnung des Partnereinkommens und -vermögens. D.h. der nichtbehinderte Partner ist solange zum Einkommens- und Vermögenseinsatz verpflichtet, bis Ihr Grundsicherungsanspruch erlischt.

Bei einer Kombination aus Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege und Grundsicherung im Alter/ bei Erwerbsminderung gilt immer die restriktivste Regelung zur Anrechnung des Partnereinkommens und -vermögens. Konkret bedeutet das: Wer ausschließlich Grundsicherung oder zusätzlich Eingliederungshilfe und/oder Hilfe zur Pflege erhält, für den gilt die Regelung der Grundsicherung.

·         Für Menschen, die neben der Eingliederungshilfe auch Leistungen der Hilfe zur Pflege benötigen und die vor Erreichen der Regelaltersgrenze Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten haben, umfasst die Eingliederungshilfe künftig auch die Leistungen der Hilfe zur Pflege.

Damit gelten für sie insbesondere die günstigeren Heranziehungsregelungen für Einkommen und Vermögen wie in der Eingliederungshilfe ab dem Jahr 2020.

·         Im Schwerbehindertenrecht werden die Schwerbehindertenvertretungen gestärkt, indem Kündigungen im Falle deren Nichtbeteiligung unwirksam sind.

 

Struktur des SGB IX ab dem 1. Januar 2018

Mit dem BTHG wird das Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) neugestaltet, was den Systemwechsel mit der Herausführung der Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe verdeutlicht.

 

Es hat künftig folgende Struktur:

·         Im SGB IX, Teil 1 ist das für alle Rehabilitationsträger geltende Rehabilitations-und Teilhaberecht zusammengefasst.

·         Im SGB IX, Teil 2 wird künftig die aus dem SGB XII herausgelöste und reformierte Eingliederungshilfe unter dem Titel „Besondere Leistungen zur selbstbestimmten Lebensführung von Menschen mit Behinderungen“ geregelt. Bis Ende 2019 galten übergangsweise allerdings noch die Regelungen des SGB XII.

·         Im SGB IX, Teil 3 steht das weiterentwickelte Schwerbehindertenrecht.

 

Ziel der neuen Struktur des SGB IX ist es, das Verfahrensrecht im Interesse der Betroffenen zu verbessern. Insgesamt erbringen die Sozialleistungsträger Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe.

Für die Frage, welcher Träger unter welchen Voraussetzungen wofür zuständig ist, gibt es Vorrang- und Nachrangvorschriften.

Durch das BTHG kommt es zu Änderungen bei den Verfahrensabläufen, wenn Rehabilitations- und Teilhabeleistungen beantragt werden.

Die Reha-Träger nach § 6 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) sind:

-          Gesetzliche Krankenkassen

-          Bundesagentur für Arbeit

-          Träger der gesetzlichen Unfallversicherung

-          Träger der gesetzlichen Rentenversicherung

-          Träger der Kriegsopferversorgung und –fürsorge

-          Träger der öffentlichen Jugendhilfe

-          Träger der Eingliederungshilfe

Anträge auf Leistungen zur Teilhabe können bei jedem der Reha-Träger gestellt werden. Dieser wird zum erstangegangenen Reha-Träger. Für die Prüfung der Zuständigkeit gibt es ein festgelegtes Verfahren. Grundsätzlich gilt, wenn nach Ablauf von 2 Monaten kein Leistungsbescheid vorliegt, gilt die beantragte Leistung als genehmigt. Diese Regelung gilt allerdings nicht für den Träger der Eingliederungshilfe.

 

Beteiligung, Vertretungsrechte Schwerbehindertenvertretungen.

Zur Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten der Schwerbehindertenvertretungen sind im BTHG u. a. folgende Änderungen vorgenommen worden:

·         die Absenkung des Schwellenwertes für die Freistellung der Vertrauensperson von derzeit 200 schwerbehinderten Menschen im Betrieb auf 100,

·         die Staffelung der Schwellenwerte für die Heranziehung der Stellvertreter nach oben, so dass Vertrauenspersonen in größeren Betrieben mehr Stellvertreter heranziehen können als die derzeit maximal möglichen zwei,

·         der Wegfall der heutigen Einschränkung bei Fortbildungen, dass ein Stellvertreter nur bei ständiger Heranziehung, häufiger Vertretung der Vertrauensperson auf längere Zeit oder absehbarem Nachrücken in das Amt einen Anspruch hat (§ 96 Absatz 4 Satz 4 SGB IX),

·         die Schaffung eines Übergangsmandates bei Betriebsübergang für Schwerbehindertenvertretungen in der gewerblichen Wirtschaft, wie es für den Betriebsrat (§ 21a Betriebsverfassungsgesetz) geregelt ist.

·         die „Integrationsvereinbarung“ wird zukünftig „Inklusionsvereinbarung“ genannt (§ 166 SGB IX).

·         dem Integrationsamt kommt zukünftig bei den Verhandlungen zwischen Arbeitgeber, Personal-, Betriebsrat, Arbeitgeberbeauftragten und der Schwerbehindertenvertretung eine moderierende Aufgabe zu. Das Integrationsamt soll dabei insbesondere darauf hinwirken, dass unterschiedliche Auffassungen überwunden werden.

Gerade im Zusammenhang der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung besonders wichtig, weil gerade für schwerbehinderte Menschen die Aufrechterhaltung ihrer Arbeitsverhältnisse von herausragender Bedeutung ist. Um in diesem besonders wichtigen Zusammenhang die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung zu sichern, wird deshalb festgelegt, dass eine Kündigung, die ohne die erforderliche Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausgesprochen wird, unwirksam ist und folglich das Arbeitsverhältnis nicht beendet.

Das BTHG sieht u. a. die Übernahme der Kosten einer Bürokraft für die Schwerbehindertenvertretung durch den Arbeitgeber in erforderlichem Umfang vor. Das wird zu einer erheblichen Entlastung der Vertrauenspersonen für schwerbehinderte Menschen beitragen.

Ebenfalls entlastend wirken die verbesserten Regelungen zur Freistellung und die Möglichkeit der Heranziehung zusätzlicher Stellvertreter.

 

BTHG-Leistungen für Menschen mit Behinderungen durch die Eingliederungshilfe

Teilhabe heißt, mehr möglich zu machen in allen Lebensbereichen, in der Arbeit, der Bildung und im gesellschaftlichen Leben. Die neu definierte Eingliederungshilfe im SGB IX sieht Leistungen für anspruchsberechtigte Menschen mit Behinderungen in vier Leistungsgruppen vor. Es handelt sich um „Leistungen zur Teilhabe“ als Oberbegriff für verschiedene Sozialleistungen, die Menschen mit (drohender) Behinderung erhalten, um beispielsweise die Behinderung abzuwenden oder zu beseitigen, die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen.

Diese Leistungen umfassen:

·         Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (z.B. in Werkstätten für behinderte Menschen),

·         Leistungen zur sozialen Teilhabe (z.B. Umbau einer Wohnung, KFZ-Hilfe),

·         Leistungen zur Teilhabe an Bildung (z.B. Hilfen zur Hochschulbildung),

·         Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (z.B. Psychotherapie, Hilfsmittel).

Bis Ende des Jahres 2019 wurden die Kosten für die Unterkunft und Lebensunterhalt direkt vom Träger der Eingliederungshilfe an die entsprechende Einrichtung gezahlt. Ab dem 1. Januar 2020 gilt neues Recht. Ab diesem Zeitpunkt bekommen Menschen mit Behinderung – auch wenn sie in einer Wohneinrichtung leben, die Lebensunterhaltsleistungen und andere Einkünfte direkt vom Sozialamt ausgezahlt. Von diesem Geld müssen dann von ihm (ggf. begleitet über einen gesetzlichen Betreuer) die Unterkunfts- und Verpflegungskosten der Einrichtung bezahlt werden. Von diesem Geld muss er aber auch seine anderen Bedürfnisse erfüllen.

Menschen mit Behinderung, die bisher in einer Wohnform eines Leistungserbringers (stationäre Einrichtung der Eingliederungshilfe) lebten, werden künftig zwei Verträge abschließen (ab 01.01.2020) – ein Mietvertrag und einen Vertrag über die Eingliederungsleistungen, welche sie in Anspruch nehmen.

Die Leistungserbringer werden ihre Leistungen neu kalkulieren und aufschlüsseln. Die Sozialverwaltungen wiederum schließen mit den Leistungserbringern neue Rahmenverträge und Leistungsvereinbarungen ab.

 

Was ist zu beachten:

-          Die Eingliederungshilfe wird ab 2020 nur noch auf Antrag gewährt (Antragserfordernis). Es ist aber nur ein Erstantrag zu stellen. Folgeleistungen sind stets von Amtswegen in Zusammenarbeit mit dem Leistungserbringer zu ermitteln.

Zuständig für diese Leistungen ist der Träger der Eingliederungshilfe.

Der Betreiber des Wohnheims bekommt die Kosten für die Leistungen direkt vom Träger der Eingliederungshilfe.

-          Die Leistungen zur Grundsicherung müssen beantragt werden.

Bis zum 31.12.2019 wurde der Lebensunterhalt in Einrichtungen als Sachleistung vom Träger der Sozialhilfe zur Verfügung gestellt. Der Bewohner hatte keinen Anspruch auf Auszahlung der Grundsicherung.

Ab dem 01.01.2020 muss der Bewohner den Lebensunterhalt in der Wohnstätte selber bezahlen und hat Anspruch auf Auszahlung der Grundsicherung.

Die existenzsichernden Leistungen werden den Bewohnern künftig direkt ausbezahlt. Dieses Geld müssen die Menschen mit Behinderung künftig selbst verwalten und hiermit die Kosten für Unterkunft und Verpflegung bezahlen sowie ihre persönlichen Bedürfnisse sicherstellen. Das bisherige „Taschengeld“ und die Bekleidungspauschale entfallen.

Anspruch auf Grundsicherung im Alter besteht zum Beispiel, wenn der Betroffene seinen Lebensunterhalt in der Wohnstätte nicht aus seinem Einkommen (Rente, sonstige Löhne), aus seinem Vermögen oder bei Erwerbsminderung  bestreiten kann.

Damit die Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Wohnstätte ab Januar 2020 erfüllt werden können muss rechtzeitig ein Antrag auf Grundsicherung gestellt werden (ggf. durch den gesetzlichen Betreuer). Der Antrag kann bei jedem Amt gestellt werden. Das Amt ist zur Weiterleitung an den zuständigen Träger verpflichtet.

Weiterhin ist zum Beispiel zu beachten:

·          Ein Girokonto zur Abwicklung der Zahlungen ist einzurichten.

·         Gegebenenfalls ist der Schwerbehindertenstatus zu überprüfen (das Merkzeichen für die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs ist wichtig).

·         Neue Mietverträge oder ein Wohn- und ein Betreuungsvertrag sollen mit dem Leistungserbringer abgeschlossen werden.

·         Gegebenenfalls sind Daueraufträge an den Leistungserbringer für Miete und Verpflegung einzurichten.

·         Mehrbedarfe für z.B. Mobilität und/oder Krankenkostzulagen sind zu beantragen.

·         Wer keinen Anspruch auf Grundsicherung hat, z.B. weil eine Rente bezogen wird, hat ggf. trotzdem Anspruch auf Wohngeld. Hier ist ein Antrag bei der Wohngeldstelle zu stellen.

·         Ist die pflegerische Versorgung nicht mehr oder nicht mehr vollständig über die Eingliederungshilfe abgedeckt, kann ergänzend ein Antrag bei der zuständigen Pflegeversicherung gestellt werden.

 

Verhältnis von Leistungen der Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege

Im BTHG wird in § 103 Absatz 2 SGB IX für Menschen mit Behinderung, die gleichzeitig Pflegebedarf haben, das Verhältnis zwischen Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII geregelt. Treffen diese Leistungen - unabhängig, ob sie gleichartig oder nicht gleichartig sind - zusammen, gilt der sog. „Lebenslagenansatz“.

Dies bedeutet:

-          Die Eingliederungshilfe umfasst die Leistungen der häuslichen Hilfe zur Pflege vor Erreichen der Regelaltersgrenze.

Dies gilt auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze, soweit erstmalig vor diesem Zeitpunkt Leistungen der Eingliederungshilfe erbracht worden sind. Da die Eingliederungshilfe die Leistungen der Hilfe zur Pflege umfasst, gelten auch insoweit die günstigeren Einkommens- und Vermögensregelungen der Eingliederungshilfe.

-          Bei Personen, die vor Erreichen der Regelaltersgrenze erstmals Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe haben, gilt diese Regelung auch über die Altersgrenze hinaus, soweit die Ziele der Eingliederungshilfe erreicht werden können.

-          Für Personen, die nach der Regelaltersgrenze Pflegebedürftigkeit und Behinderung erleiden, besteht aufgrund der Gleichrangigkeit Zugang zu beiden Leistungen, dann wird die Hilfe zur Pflege als Sozialleistung jedoch nach den Vorschriften der Sozialhilfe erbracht.

 

Unterstützung durch Leistungsträger im Verfahren

Das Gesetz sieht vor, dass der Träger der Eingliederungshilfe die/den Leistungsberechtigten im gesamten Verfahren und auch noch im Zusammenhang mit der Leistungserbringung unterstützt.

Die Unterstützungspflichten umfassen insbesondere die Hilfe bei:

- der Antragstellung,

- Hilfe bei der Klärung weiterer zuständiger Leistungsträger,

- Hilfe bei der Erfüllung von Mitwirkungspflichten,

- Hilfe bei der Inanspruchnahme von Leistungen,

- Vorbereitung von Möglichkeiten der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft,

- Vorbereitung von Kontakten und Begleitung zu Leistungsanbietern,

- Hilfe bei der Entscheidung über Leistungserbringer,

- Hilfe bei der Aushandlung und dem Abschluss von Verträgen mit

  Leistungserbringern,

- Hilfe bei der Erfüllung von Verpflichtungen aus Zielvereinbarungen und

  Bewilligungsbescheid.

Zur Sicherstellung der Beratungsqualität werden die Beratungsangebote fachlich und organisatorisch durch die Fachstelle Teilhabeberatung unterstützt, die als Dienstleister im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) tätig ist.

Die Fachstelle fördert die Zusammenarbeit und Vernetzung der regionalen Beratungsangebote und stellt auf das barrierefreie Webportal www.teilhabeberatung.de ein Informationsangebot zu Fragen zur Verfügung.

 

Anmerkung

Mit den Änderungen zum BTHG ist eine umfangreiche Neu- und Umgestaltung verbunden.

Am 29.12.2016 wurde das Gesetz im Bundesgesetzblatt verkündet. Die erste Reformstufe trat zum 01. Januar 2017 in Kraft. Die letzte und 4. Reformstufe soll zum 01. Januar 2023 in Kraft treten. Bis zu diesem Zeitraum sind auch die Regelwerke in den jeweiligen Bundesländern zu beachten.

Es ist ein umfangreiches neues Regelwerk unter Berücksichtigung der UN-Behindertenrechtskonvention geschaffen worden. Im Vorfeld wurde ein breites Beteiligungsverfahren zur Erarbeitung des BTHG ermöglicht. Hier wurde ein erheblicher Nachbesserungsbedarf geäußert und berücksichtigt. Es wurde auch Wert auf eine Stärkung der Schwerbehindertenvertretungen in den Beteiligungen gelegt.

Die Auswirkungen auf die Einzelnen sind umfangreich und vielfach in der Praxis noch offen, da viele neue Regelungen ineinander greifen und sich gegenseitig beeinflussen. Hier wird sicherlich auch Nachbesserungsbedarf anfallen.

Wir werden hierzu weiter berichten.

 

Ich verbleibe mit herzlichen Grüßen

Gerhard Bernahrndt

Bundesschwerbehindertenvertreter