13. Dezember 2017
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Telearbeit – Zwischen Selbstausbeutung und Freizeitoptimierung

Im Sinne der Vereinbarkeit von Familie und Dienst wurde für viele ein Traum wahr: Mit der sogenannten Telearbeit können Arbeitszeit und Arbeitsort flexibel gestaltet werden. Aber wie das so ist im richtigen Leben, wenn Träume wahr werden tritt häufig Ernüchterung, manchmal sogar Enttäuschung ein. Erstaunlicherweise halten manche die Telearbeit in der praktizierten Form für einen Albtraum. Dies wollen wir zum Positiven wenden, denn Telearbeit soll ausgeweitet werden. Wie lässt sich der (Telearbeits-)Traum problemlos leben?

Ein Angebot, das man kaum ausschlagen kann

Telearbeit versteht sich als Angebot des Dienstherrn an alle Beschäftigten, allerdings ohne einen generellen Anspruch auf Telearbeit zu begründen. Es müssen keine besonderen Antragsgründe vorliegen, aber es ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob dienstliche Gründe der individuellen Vereinbarung zur Telearbeit nicht entgegenstehen und die Voraussetzungen gemäß der Zentralen Dienstvorschrift A-2645/1 Telearbeit erfüllt sind.

Die Arbeitsleistung erfolgt am geeigneten häuslichen Arbeitsplatz in der privaten Wohnung zu vereinbarten Präsenzzeiten und im Rahmen selbstbestimmter Arbeitszeit. Diese Telearbeitsplätze werden auf Kosten der Dienststelle mit dem erforderlichen Möblierungsgerät ausgestattet. Die oder der Telearbeitende trägt im Gegenzug die Betriebskosten. Über zugelassene Informationstechnik ist der Telearbeitsplatz mit dem Netz der Dienststelle verbunden, damit der notwendige Zugriff auf die erforderlichen Netzlaufwerke und elektronischer Mailverkehr möglich ist.

Das ist modernes Arbeiten in der Bundeswehr, individuell, selbstbestimmt, selbstverantwortlich, eben genau das, was heutzutage attraktive Arbeitgeber auszeichnet. Wen wundert es daher, dass unsere Bundesministerin das Angebot der Telearbeit ausdrücklich gut findet und vorantreibt, sich dabei der Zustimmung ganz vieler Beschäftigter sicher sein kann.

So ganz traut das Haus den Seinen dann doch nicht, denn wie wäre sonst zu erklären, dass unmittelbar nach dem einführenden Kapitel der ZDv A-2645/1 schon auf das Benachteiligungsverbot hingewiesen wird. Übrigens nicht ganz unbegründet, denn der Spruch „Wenn Sie Telearbeit beantragen ist Ihre Karriere beendet!“ ist gelegentlich doch zu hören, selbstverständlich ohne Zeugen.

Tatsächlich ist die institutionelle Reife der Bundeswehr noch nicht überall angemessen entwickelt, was mancherorts zu handfesten Problemen führt. Wie wird beispielsweise der sachgerechte Informationsfluss im Referat sichergestellt? Wie wird der unbedingt notwendige soziale Zusammenhalt gepflegt? Und wie weit ist es denn tatsächlich mit der empfundenen Gleichbehandlung von Telearbeitern und Präsensarbeitern? Sind Führungsfunktionen generell nicht telearbeitsfähig? Zu viele Fragen, zu wenig Antworten? Der erste Eindruck täuscht, das BAPersBw gibt Orientierungshilfe!

Natürlich geht ein „Weiter so!“ mit breiter Einführung der Telearbeit nicht mehr, denn das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern muss neu ausgestaltet werden. Spontane persönliche Besprechungen und der gewohnte kollegiale Austausch sind ohne weiteres zwar nicht mehr möglich, aber eben nicht unmöglich! Eine gewisse Abstimmung ist notwendig, wenn die Vorteile der Telearbeit überwiegen sollen. Auch dringende arbeitsteilige Aufgaben können verzugslos bearbeitet werden, sofern die Arbeitszeiten sinnvoll synchronisiert werden. Es versteht sich von selbst, dass die zugrundeliegenden Arbeitsprozesse elektronisch sicher zu bewältigen sein müssen. Ist dies nicht der Fall, muss dafür gesorgt werden, dass die klassischen Nichttelearbeiter, also die in der Dienststelle anwesenden Kolleginnen und Kollegen, nicht als Lückenbüßer („unterschreiben Sie mal schnell für ihren Kollegen/ihre Kollegin“) missbraucht werden.

Wie eingangs beschrieben sind die Probleme zwar handfest, gleichwohl handhabbar und deshalb von einem gut aufgestellten Team sicher in den Griff zu bekommen. Die ZDv A-2645/1 lässt erstaunlich viel Gestaltungsraum zu. Man muss diesen nur gemeinsam erkennen und gezielt nutzen, damit keine dienstlichen Gründe dem Wunsch nach Telearbeit entgegenstehen. Ein starker Wunsch darf jedoch nicht den objektiven Blick auf die Realität vernebeln: In der Praxis wird es immer Arbeitsplätze und Tätigkeiten geben, die nicht telearbeitsfähig gestaltet werden können.

Gute Führung und Telearbeit

Die Kontrolle und Bewertung der Arbeitsergebnisse setzt voraus, dass über die Ziele, Ergebnisse und Umfang der Arbeit beiderseitige Klarheit geschaffen wird. Dies erfordert ehrliche und nüchterne Analysen sowie vertrauensvolle Kommunikation zwischen den Vorgesetzten und den Mitarbeitern. Dies gilt für den gewohnten Dienstbetrieb genau wie für alle anderen Arbeitsformen. Verfügt der Telearbeiter über die notwendige Loyalität, Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit aus Sicht seiner Vorgesetzten? Ist der Telearbeiter selbstkritisch genug, um dauerhaft das gesunde Maß zwischen Selbstausbeutung und Freizeitoptimierung zu finden?

Die männliche Form wurde an dieser Stelle bewusst gewählt, denn entgegen weitläufiger Vorurteile ist Telearbeit nicht nur „Frauensache“! Das Factsheet (Quelle: Beauftragte für die Vereinbarkeit von Familie/Beruf in der Bundeswehr) weist zum 30.06.2017 einen Anteil von 42% weiblich und 58% männlich aus.

Der Vorgesetzte (m/w) muss wiederum befähigt sein, genug Vertrauen in seine Mitarbeiter (m/w) zu setzen, sinnvolle Grenzen zu definieren und durchzusetzen, sich von eingefahrenen Denkmustern lösen zu können. Eines darf ebenfalls nicht verschwiegen werden: Wer anerkannte „lowperformer“ (Freizeitoptimierer) einfach mit Telearbeit belohnt, schadet der guten Idee und dem Ansehen der Telearbeit beträchtlich. Einige Wenige können sehr Vielen schaden! Diese Negativbeispiele sollten deshalb die absolute Ausnahme bleiben, denn nach Vorschrift kann es diese Fälle eigentlich nicht geben. Komplementär dazu sind die „highperformer“ (Selbstausbeuter) zu betrachten. Dienstliche Verfügbarkeit jederzeit und überall ist anerkannt ungesund, zeugt demnach von mangelhafter Organisation.

Nicht nur an diesen Stellen sind die jeweiligen Personalvertretungen und Gleichstellungsbeauftragten mit ihrem spezifischen Wissen und ihren Erfahrungen gefordert. In der Praxis kann es durchaus vorkommen, dass strittig zu entscheiden ist, ob im Einzelfall dienstliche Gründe einer individuellen Telearbeitsvereinbarung entgegenstehen oder ob die Individualvereinbarung überdacht werden muss.

Informationen zur Telearbeit

Auf Dauer schadet es der breiten Akzeptanz der Telearbeit, wenn nur eine Vorschrift, eine zweifellos gute Vorschrift, erlassen wird. Leider wird in manchen Bereichen auf Handreichungen zur praktischen Umsetzung immer noch gewartet. Eine rühmliche Ausnahme bildet die „Orientierungslinie Telearbeit für Führungskräfte im BAPersBw“, die auch den potenziellen Teilnehmern an der Telearbeit zur Lektüre empfohlen wird. Es ist wirklich schade, wenn derart hilfreiche Informationen in den Untiefen des Intranets verschwinden!  Deshalb sind gute Führung und Informationen zur Telearbeit besser zu bündeln und leichter auffindbar im Intranet zu platzieren. Praktische Hilfe hilft theoretische Hürden zu überwinden!

Telearbeit ist Normalität

Traum oder Albtraum, diese Frage stellt sich nicht mehr. Die Telearbeit ist mittlerweile fest in der Realität verankert. Niemand kann moderne IT und Telearbeit aufhalten. Der Bundeswehr bietet sich eine Riesenchance, sich als zeitgemäßer Arbeitgeber öffentlichkeitswirksam profilieren. Deshalb sollte die Telearbeit mit fairen und klaren Regeln - wo immer sinnvoll vertretbar - ausgeweitet werden. Bei dieser Aufgabenstellung sollten Personalvertretungen und besonders die Gleichstellungsbeauftragten ihre Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne aller Beschäftigten flexibel nutzen. Der VBB wird weiterhin dafür Sorge tragen, dass sich die Telearbeit im gewünschten Korridor zwischen Selbstausbeutung und Freizeitoptimierung bewegt und die Entwicklung aufmerksam verfolgen. Damit unterstützt der VBB durchaus die Vorgaben der Zentralen Dienstvorschrift A-2645/1 Telearbeit: “Im Geschäftsbereich des BMVg wird im Interesse der Bundeswehrangehörigen und der Dienststellen Telearbeit praktiziert.“