19. April 2021

Evolution statt Revolution: Kann sich die Beschaffungsorganisation von innen heraus optimieren?

  • Foto: VBB
    Bei der Abschlussbesprechung zum Interview: v.l.n.r die Herren Puschmann, Fühner, Lichtmeß und Dr. Liesenhoff

Eigentlich ist die Organisation der Bundeswehr so aufgebaut, dass sie sich der äußeren Entwicklung anpassen kann. In den meisten Fällen funktioniert das unauffällig und kontinuierlich, häufig unterstützt durch eine temporäre Arbeitsgruppe, dem Zeitgeist entsprechend gerne taskforce genannt. Im Idealfall legen kundige Experten nach genauer Analyse des Sachstands und Synthese aller Fakten eine Beschlussempfehlung vor. Die wahre Kunst dabei ist, die tatsächlich erforderlichen Maßnahmen zu entwickeln und diese auch umsetzen zu können, damit echte Verbesserungen spürbar werden. Dazu liegt ein breites Erfahrungsspektrum aus vielen Projekten vor, nicht immer positiv bewertet. An dieser Stelle stellen wir einen hochaktuellen, anspruchsvollen Weg vor. Wer nicht betroffen ist, sollte dennoch aufmerksam lesen, denn: Heute die, morgen Sie?

Die Langzeitbaustelle Beschaffung

Im Glauben an eine einfache Lösung haben sich schon viele Prominente und Experten am vielschichtigen Thema Beschaffung versucht, konnten aber die hohen Erwartungen aus verschiedenen Gründen meist nicht erfüllen. Über die spannende Entwicklung der letzten Jahre hat der VBB an dieser Stelle immer wieder berichtet, denn es geht nicht nur um Prozesse und Verfahren, es geht natürlich um Organisation und Personal. Gerade das betroffene Personal hatte viel zu ertragen, wurde verunsichert und teilweise seitens der Politik diskreditiert. Der VBB ist diesem Verhalten wiederholt entgegengetreten, denn bei uns wird der anonyme Begriff Personal zu individuellen Menschen.

Die Zukunft der Bundeswehr und die Zukunft der Beschaffung

Nach dem Interview mit der Präsidentin des BAAINBw hat der Bundesvorsitzende Dr. Liesenhoff mit der AG Umsetzung BeschO (Optimierung der Beschaffungs- und Nutzungsorganisation) Kontakt aufgenommen. An deren Vorschlägen ist die Bundesministerin der Verteidigung Kramp-Karrenbauer wiederum interessiert, denn sie will die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe in die zukünftige Ausrichtung der Bundeswehr einfließen lassen. Hervorzuheben ist dabei der entscheidende Punkt, dass interne, bodenständige Kenner der Materie ganz gezielte Maßnahmen vorschlagen. Nach dem ganzen hochfliegenden Beraterzauber der vergangenen Jahre darf das als großer Vertrauensvorschuss in das eigene Personal gewertet werden.

Infokasten – Die AG Umsetzung BeschO

Ziel ist es, dass Soldatinnen und Soldaten die benötigte Ausstattung künftig schneller, einfacher und zielgenauer erhalten. Die bis Ende 2021 ins Leben gerufene AG Umsetzung BeschO (Optimierung der Beschaffungs- und Nutzungsorganisation) setzt dazu die durch die Bundesministerin der Verteidigung am 19. September 2019 gebilligten 58 Maßnahmen der Task Force BeschO um. Die einzelnen Maßnahmen wurde hierzu auf zehn sogenannte Integrierte Projektteams verteilt, welche im BMVg und im BAAINBw verortet sind. Die Verantwortung für das Gesamtprojekt liegt dabei bei der Präsidentin des BAAINBw und den Abteilungsleitern der Abteilungen Ausrüstung und Cyber/Informationstechnik im BMVg. Neu ist dabei die Einbindung der Interessenvertretungen im Rahmen der „Begleitenden Beteiligung“. Hierfür wurde eine Vereinbarung zwischen Herrn Staatssekretär Zimmer und den beteiligten Interessenvertretungen geschlossen, welche eine vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit im Sinne aller Beschäftigten im Projekt ermöglichen soll.

Detaillierte Informationen zur AG und den Sachständen der einzelnen Maßnahmen finden Angehörige der Bundeswehr im WikiBw unter dem Schlagwort „BeschO“. Interessierte außerhalb der Bundeswehr finden detaillierte Informationen in den veröffentlichten Berichten des Bundesministeriums der Verteidigung zu Rüstungsangelegenheiten (kurz: Rüstungsberichten).

Interview Brigadegeneral Thorsten Puschmann (Projektleiter) und DirBAAINBw Harald Lichtmeß (Leiter Sekretariat AG Umsetzung BeschO) mit VBB-Vorsitzenden Dr. Hans Liesenhoff

Herr Puschmann, Herr Lichtmeß, zunächst herzlichen Dank für Ihre Bereitschaft zu diesem Interview. Ihre Arbeit in der AG Umsetzung BeschO wird mit großem Interesse verfolgt. Geben Sie uns doch bitte zunächst einen kurzen Überblick zum Stand der Aktivitäten.

Seit Oktober 2019 läuft die Umsetzungsphase des Projektes „Untersuchung und Optimierung der Beschaffungs- und Nutzungsorganisation“. Viele wichtige Schritte und erste Erfolge durch Veränderungen in der gesamten Beschaffungs- und Nutzungsorganisation sind durch die Integrierten Projektteams (IPT) erreicht worden. Ich möchte allen Beteiligten an dieser Stelle für ihre engagierte Mitarbeit danken! Wir haben mehr als die Hälfte des Weges als Arbeitsgruppe hinter uns und im April 2021 der Bundesministerin der Verteidigung einen Zwischenbericht vorgelegt. Mit Maßnahmen wie der Einrichtung einer übergeordneten Entscheidungsstelle im CPM-Verfahren, der Etablierung sogenannter Clusterprogramme für IT-Services zur Strukturierung der IT-Beschaffung und der Einrichtung von Beauftragten für die Nutzung konnten wir zum Beispiel bereits eine verbesserte Steuerung und Priorisierung der Projekte erreichen. Auch die schnelle Deckung personeller Vakanzen wird kurz- bis mittelfristig helfen. Hier sind Maßnahmen wie die Ausweitung von Direkteinstellungen inklusive der Möglichkeiten zur schnelleren Einarbeitung, das Angebot zur Hinausschiebung des Ruhestands, die erhöhte Gewinnung von Reservistendienstleistenden oder die zeitweilige personelle Unterstützung aus den militärischen Organisationsbereichen als Erfolge zu nennen. Damit die Realisierung von Projekten besser vorangetrieben werden kann, haben wir die Arbeitsumgebung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verbessert und Prozesse optimiert. Die Modernisierung der Arbeitsausstattung mit bspw. neuer IT, flexible Möglichkeiten der Arbeitszeitgestaltung aber auch die weitere Optimierung des Prozesses der Vertragsbearbeitung sind nur einige Dinge, die in Angriff genommen wurden. Erste Erfolge werden bereits sichtbar. Da wollen wir jetzt dran bleiben.

Herr Lichtmeß, welche positiven und vielleicht auch negativen Erfahrungen haben Sie in Ihrer Arbeit der AG Umsetzung BeschO gemacht?

Die gemeinsame, offene und zielstrebige Arbeit in den Projektteams, ist für mich ein extrem positiver Aspekt meiner täglichen Arbeit. Die Kolleginnen und Kollegen, Kameradinnen und Kameraden in Koblenz aber auch im gesamten Geschäftsbereich und dem Ministerium haben bereits jetzt vieles erreicht, indem sie gemeinsam an die Sache rangegangen sind. Auch die Interessenvertretungen, die uns begleiten, unterstützen uns mit ihrer Fachexpertise. Nach fast vier Jahrzehnten Dienst im Beschaffungsamt der Bundeswehr ist mir klar, dass Veränderungen in einem solch dynamischen Umfeld immer erforderlich sind, diese aber ohne die Betroffenen im Amt und ohne die vielen Beteiligten in der gesamten Bundeswehr niemals nachhaltig erreicht werden können. Es ist daher wichtig, das Wissen der Expertinnen und Experten vor Ort zu nutzen und diese bei den Problemlösungen eng mit einzubinden. Darüber hinaus lebt das Veränderungsmanagement von Transparenz, damit sich jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter mitgenommen fühlt. Dies ist aus meiner Sicht etwas, was in der gesamten AG umgesetzt werden konnte. Wir legen unsere Arbeit und unsere Arbeitsergebnisse immer offen, so dass jeder die Möglichkeit hat sich zu informieren.

Aber wo Sonne ist, da ist erfahrungsgemäß auch Schatten. Veränderungen benötigen Zeit und müssen auf Akzeptanz bei den Menschen stoßen. Es muss in den Köpfen ankommen. Dies ist natürlich generell schon ein großer Akt. Aber gerade in einem doch eher trägeren System wie es bei großen Unternehmen oder einer großen Behörde der Fall ist, manchmal etwas müßig. Hinzu kommt die Komplexität mit Aufbau- und Ablauforganisation. Allerdings verspüre ich bei meiner Arbeit in der AG Umsetzung BeschO einen ganz deutlichen Mentalitätswandel. Die Mehrheit der Beteiligten ist sich bewusst, dass Veränderungen notwendig sind, wenngleich der Weg dahin auch oft mit Unsicherheiten und Ängsten verbunden ist. Umso wichtiger ist es, den Faktor „Mensch“ in den Mittelpunkt zu stellen.

Herr Puschmann, was ist aus Ihrer Sicht noch zu tun – was sind die nächsten Schritte?

Wir haben noch einige offene Baustellen, welche wir dieses Jahr mit ganzer Kraft angehen werden. Das sind insbesondere Maßnahmen, die eher mittelfristig umgesetzt werden Wir dürfen nicht vergessen: Wir planen und setzen während des laufenden Betriebs um. Dieser darf nach Möglichkeit keine bis kaum Beeinträchtigungen durch unsere Arbeit erfahren. Zu diesen Maßnahmen zählen beispielsweise die Etablierung des Forderungscontrollings, die Ausgestaltung einer Beschaffungsstrategie für den gesamten Rüstungsbereich mit allen Beschaffungsvarianten, sowie diverse Maßnahmen zum EinkaufBw.

Herr Lichtmeß, wie müssen wir uns die Arbeit der Integrierten Projektteams intern und mit dem Sekretariat vorstellen?

In den IPT der AG, die im BAAINBw und im BMVg etabliert wurden, wird die Kernarbeit in der Maßnahmenumsetzung geleistet. Sie meistern damit den Kraftakt, der hinter diesem ambitionierten Vorhaben mit den unzähligen Schnittstellen in die gesamte Bundeswehr steckt. Herauszuheben ist dabei, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser speziellen IPT all dies im Nebenamt bewältigen, also neben ihren originären Aufgaben. Einzig die Kolleginnen und Kollegen sowie Kameraden im Sekretariat der AG sind hauptamtlich mit der Koordination und Steuerung des Projektes beauftragt. Hinzu kommt das Novum der begleitenden Beteiligung der Interessenvertretungen, welche bei dem ein oder anderen Verantwortlichen sicherlich zunächst mehr Fragen als Antworten erzeugt hat. Auch hier musste es zu Veränderungen im Denken kommen. Und mittlerweile wird dieser Aspekt als Bereicherung empfunden. Das uns selbst gesetzte Transparenzgebot in alle Richtungen bringt eine weitere Herausforderung für die Kommunikation mit sich, der sich alle Beteiligten gerne stellen. Diese Transparenz gibt der AG auch die Möglichkeit, das zwingend notwendige gemeinsame Verständnis für das weitere Vorgehen zu erreichen, von der politischen Leitung im BMVg bis zu den umsetzenden Fachbereichen in der Fläche. Sie sehen, neben der herausfordernden Sacharbeit an den Einzelthemen, bringt die Arbeit in der AG auch viele übergreifende Aufgaben mit sich.

Herr Puschmann, wie sieht für Sie die Zukunft des Rüstungs- und Nutzungsbereiches aus?

Durch die gute und zielgerichtete Arbeit aller Beteiligten haben wir bereits viel erreicht. Für mich ist klar, dass wir den Weg jetzt geebnet haben und diesen nun unermüdlich beschreiten müssen, um unsere Ziele zu erreichen. Nur durch die Umsetzung der Maßnahmen und das Nachhalten der Meilensteine können wir erfolgreich die materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr nachhaltig erhöhen und den Beschaffungsprozess optimieren. Es ist unsere Absicht, dass alle Soldatinnen und Soldaten ihre Ausstattung schneller, einfacher und zielgenauer erhalten. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass sich daran alle beteiligen müssen. Denn nur gemeinsam, über alle Hierarchieebenen hinweg, schaffen wir es. Und, wenn ich sage alle, dann meine ich nicht nur die Menschen im BAAINBw. Es sind alle Stakeholder gefordert, die Anteil an einer Beschaffung haben.

Einen Aspekt dürfen wir hier aber nicht aus den Augen verlieren. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass Veränderungen nur im vorgegeben gesetzlichen Rahmen möglich sind, wie z.B. dem Haushalts- oder dem Beschaffungsrecht. Hier sollten wir allerdings den gesetzten Rahmen umfassend ausschöpfen und nicht selbst begrenzen.